Faktencheck: Einreisewege nach Deutschland
In den öffentlichen Debatten um die Aufnahme von Geflüchteten ist immer wieder von „illegaler Einreise“, „irregulärer Migration“ oder „illegaler Migration“ die Rede. Doch worum geht es dabei genau und wer ist eigentlich gemeint?
Laut dem brandenburgischen Innenminister Michael Stübgen (CDU) seien im August 2023 „knapp 1.100 illegal Eingereiste“ in der Erstaufnahme registriert worden. Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sprach von notwendigen Maßnahmen, „um illegale Migration zu unterbinden“. Diese fortwährende Rede von „illegaler Einreise“ oder „irregulärer Migration“ ist jedoch aus mehreren Gründen problematisch.
1. Es geht nicht um Migration
Migrant*innen sind Menschen – mit deutscher wie nichtdeutscher Staatsbürgerschaft – die ihren Lebensmittelpunkt in eine neue Region oder ein anderes Land verlegen: Sie ziehen also um – nach Deutschland oder aus Deutschland fort, mit Planung und (falls erforderlich) Visum. Das passiert übrigens in großer Zahl, ohne dass darüber öffentlich viel diskutiert werden würde.
Das Phänomen, das dagegen in der Regel gemeint ist, wenn von „illegalen Migration“ gesprochen wird, heißt Flucht. Und tatsächlich treffen Geflüchtete zumeist ohne die für eine Einreise notwendigen Papiere in Deutschland ein. Flucht selbst ist aber nicht „illegal“. Vielmehr ist das Recht auf Schutz vor Verfolgung im Grundgesetz sowie in zahlreichen europäischen und internationalen Konventionen und völkerrechtlichen Verträgen verankert. Für den Flüchtlingsschutz zentral ist dabei die 1951 verabschiedete Genfer Flüchtlingskonvention mit dem Zusatzprotokoll von 1967. Und in der 1948 verkündeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es in Artikel 14: „Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen.“
2. Es gibt kaum legale Einreisewege für Geflüchtete
Wie können Schutzsuchende, die ja ein Recht auf Schutz haben, verhindern, dass ihre Flucht nach Deutschland als „illegal“ oder „irregulär“ eingestuft wird? Denn während die „illegale Einreise“ nach Deutschland unter Strafe steht, sind „legale“ Wege der Einreise nach Deutschland oder in die Europäische Union für die große Mehrheit der Menschen auf der Flucht versperrt.
Grundsätzlich benötigen Menschen aus den meisten Staaten (darunter fast alle Länder, aus denen Menschen fliehen müssen) für eine legale Einreise nach Deutschland ein Visum. Menschen auf der Flucht stehen dabei vor vielfältigen Hürden: Zum einen können sie in ihrem Herkunftsland die formalen Prozesse – Reisepass besorgen, Visum beantragen, Dokumente vorlegen – kaum erledigen, wenn sie vor Krieg und Verfolgung fliehen müssen. Zum anderen stellen die Staaten – darunter auch Deutschland – für Menschen auf der Flucht in den allermeisten Fällen überhaupt keine Visa aus. Wer zum Beispiel aus Syrien fliehen muss, würde von einer deutschen Botschaft im Nachbarstaat (die Deutsche Botschaft in Damaskus ist seit Jahren geschlossen) in der Regel gar kein Visum erhalten – obwohl der überwiegende Teil der Syrer*innen einen Schutzstatus in der EU bekommen. Nur in wenigen Einzelfällen, etwa bei bekannten und gefährdeten Oppositionspolitiker*innen oder verfolgten Journalist*innen, machen Aufnahmestaaten eine Ausnahme und erteilen über ihre Botschaften die notwendigen Visa.
Wie restriktiv diese Praxis ist, zeigt sich auch im Kontrast zur Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten: Ukrainer*innen benötigten schon vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine kein Visum für die Einreise nach Deutschland (bei einem bis zu 90-tägigen Aufenthalt), daran hat sich seither nichts geändert. Ihre Einreise nach Deutschland wurde daher in den politischen Debatten nie als „illegal“ oder „irregulär“ bezeichnet. Sie haben auch schnell einen Schutzstatus erhalten, ohne ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen.
3. Die legalen Wege sind streng limitiert
Zwar existieren für Geflüchtete legale Wege der Aufnahme. Sie sind allerdings für nur sehr wenige Menschen eine Option. So bieten verschiedene Aufnahmeprogramme (Resettlement sowie Aufnahmeprogramme von Bund und Bundesländern) anerkannten Geflüchteten theoretisch einen legalen Weg mit Visum und Aufnahmezusage in einen Aufnahmestaat. Dabei handelt es sich in der Regel um Menschen, die nach ihrer Flucht in einem Drittstaat gestrandet sind (zum Beispiel syrische Geflüchtete im Libanon) und dort nicht bleiben können. Die Aufnahmeverfahren sind allerdings sehr langwierig (das UNHCR stellt zunächst den Schutzbedarf fest, dann führen die Behörden der Aufnahmestaaten auch selbst noch einmal Befragungen durch). Außerdem ist die Zahl der Plätze, die die Aufnahmestaaten über solche Programme zur Verfügung stellen, sehr niedrig. So hat Deutschland für das unter dem Dach des UNHCR stehende Resettlement-Programm im Jahr 2023 nur 6.500 Plätze zur Verfügung gestellt (EU-weite Zahl der Plätze: 15.897). Das ist eine verschwindend geringe Zahl angesichts von 45,9 Millionen Menschen, die in anderen Staaten fliehen mussten und dort oft unter widrigen Bedingungen in großen Flüchtlingslagern leben.
Ähnlich ist die Situation bei dem Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan, das die Bundesregierung im Oktober 2022 verkündet hat. Mit dem Programm sollen Afghan*innen aufgenommen werden, die nach der Machtübernahme der Taliban akut gefährdet sind. Das betrifft insbesondere (aber nicht nur) Menschen, die zuvor für die Bundeswehr gearbeitet haben (sogenannte Ortskräfte) und genau dafür nach dem Abzug der internationalen Truppen verfolgt wurden und werden. Aufgenommen hat Deutschland über dieses Programm, das zwischenzeitlich sogar ausgesetzt war, bis Mitte Oktober 2023 aber nur 13 Menschen.
Der Familiennachzug ist eine weitere Möglichkeit für Menschen auf der Flucht, legal mit einem Visum nach Deutschland zu kommen. Dafür müssen enge Familienmitglieder bereits in Deutschland leben (und dafür zuvor in den allermeisten Fällen „irregulär“ Grenzen überquert haben), über einen Schutzstatus verfügen und weitere Voraussetzungen erfüllen. Und die Geflüchteten, die noch im Herkunftsland ausharren oder in einem Drittstaat gestrandet sind, müssen zahlreiche Dokumente vorlegen, die oft nur schwer zu beschaffen sind. Auch hier dauern die Verfahren sehr lange und werden durch bürokratische Hürden erschwert.
Menschen haben ein Recht auf Schutz
Es bleibt damit ein ungelöster Widerspruch: Menschen haben – durch nationales und europäisches Recht, durch die Genfer Flüchtlingskonvention und durch weitere völkerrechtliche Konventionen garantiert – das Recht auf Flucht sowie das Recht auf Schutz. Doch für die meisten Menschen auf der Flucht ist es nahezu unmöglich, „legal“ Grenzen zu überqueren, um ihr Recht auf Schutz auch wahrnehmen zu können. Sie können sich nicht in ein Flugzeug setzen und nach Deutschland fliehen. Fluggesellschaften werden sogar Geldstrafen für den Fall angedroht, dass sie Geflüchtete mitnehmen, die nicht über ein entsprechendes Visum verfügen. Menschen auf der Flucht sind damit gezwungen, Grenzen ohne Erlaubnis zu überqueren, um dann einen Asylantrag zu stellen.
Und genau dieser Widerspruch ist die Geschäftsgrundlage für die sogenannten Schlepper: Weil es an legalen Möglichkeiten der Flucht nach Europa mangelt, sind verzweifelte Menschen oft auf „Schlepper“ angewiesen, die ihnen zumeist gegen Geld Wege über Grenzen und damit in die Sicherheit zeigen.
Menschen, die nach der Flucht in Deutschland einen Asylantrag stellen, halten sich während des Asylverfahrens dann übrigens „gestattet“ in Deutschland auf (der Name dieses Aufenthaltsstatus lautet: „Aufenthaltsgestattung“). Und die routinemäßig eingeleiteten Strafverfahren wegen „unerlaubter Einreise“ werden wieder eingestellt, nachdem die Betroffenen einen Asylantrag gestellt haben, eben weil Geflüchteten die Umstände ihrer Einreise nicht zur Last gelegt werden können.
Wenn man also die Hintergründe betrachtet, wird deutlich: Gegen „illegale Einreise“ zu wettern, verkennt nicht nur in ignoranter Art und Weise die Realität von Geflüchteten, sondern schiebt ihnen auch noch die Verantwortung für ihre Situation zu, auf die sie in der Regel keinerlei Einflussmöglichkeiten haben.