Faktencheck: Scheinlösung „Grenzkontrolle“
Seit dem Sommer 2023 wurde in Brandenburg vermehrt über die Einführung von Grenzkontrollen an der deutsch-polnischen Grenze diskutiert, Mitte Oktober starteten stationäre Kontrollen der Bundespolizei an der Grenze zu Polen. Doch was können Grenzkontrollen bewirken und wie ist die rechtliche Lage?
In Südbrandenburg organisierten Kreisverbände der CDU im September 2023 eine Unterschriftenkampagne für Grenzkontrollen, die später auf ganz Brandenburg ausgeweitet wurde. Auch der brandenburgische Innenminister Michael Stübgen (CDU) fordert bereits seit längerem Grenzkontrollen durch die Bundespolizei. Doch es stellt sich die Frage nach dem Ziel solcher Kontrollen. In den politischen Debatten wird stets der Eindruck erweckt, mit Grenzkontrollen ließe sich die Zahl der in Deutschland eintreffenden Schutzsuchenden begrenzen. Diese Annahme ist aber schon aus rechtlichen Gründen nicht richtig. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) wies im September 2023 darauf hin, „dass Binnengrenzkontrollen kein geeignetes Mittel zur Regulierung von Asylantragstellenden sind“. Selbst wenn Menschen durch die Bundespolizei an der Grenze aufgegriffen werden, ist in den meisten Fällen eine Zurückweisung der schutzsuchenden Menschen nicht zulässig. Grenzkontrollen ändern an dieser rechtlichen Lage nichts.
Zurückschiebungen sind nicht zulässig
Zurückweisungen oder Zurückschiebungen sind bei Menschen, die gegenüber deutschen Behörden beziehungsweise der Grenzpolizei an oder hinter der Grenze um Asyl ersuchen, nicht zulässig. Denn jeder Mensch hat das Recht, einen Asylantrag zu stellen. Ob dann Deutschland oder ein anderer Staat für das Asylverfahren zuständig ist, muss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) prüfen. Hier kommen die Regelungen der Dublin-Verordnung ins Spiel.
Die EU (sowie die Nicht-EU-Staaten Norwegen, Island, Lichtenstein und die Schweiz) hat sich darauf verständigt, dass ein Asylverfahren nur in einem Staat durchgeführt werden soll. In einem sogenannten Dublin-Verfahren wird dabei anhand verschiedener Kriterien – Kindeswohl, Familieneinheit, Ersteinreiseland – die Frage der Zuständigkeit für das Asylverfahren festgestellt. Allein weil das formale Verfahren Zeit benötigt, kann eine solche Prüfung gar nicht unmittelbar an der Grenze erfolgen. Eine Grenzkontrolle würde deshalb nicht dazu führen, dass die Menschen an der Grenze zurückgeschoben werden.
Hierzu ein abstraktes Beispiel: Ein Mensch wird in Brandenburg einige Kilometer hinter der polnisch-deutschen Grenze von der Polizei angehalten und stellt mündlich einen Asylantrag. Dieses Gesuch darf von den deutschen Behörden nicht ignoriert werden, sondern führt zu einem Asylverfahren. Eine sofortige Zurückschiebung nach Polen ist schon allein deshalb nicht möglich, weil in dem Moment gar nicht festgestellt werden kann, ob Polen für das Asylverfahren der Person überhaupt zuständig wäre. Das BAMF muss daher unter anderem prüfen, ob bereits eine Registrierung in einem anderen EU-Staat vorliegt und wenn ja, in welchem. Anschließend kann Deutschland ein Übernahmegesuch stellen, auf das der zuständige Staat in einer bestimmten Frist reagieren muss. Falls keine vorherige Registrierung erfolgt ist, ist Deutschland für das Asylverfahren zuständig.
Die Zuständigkeit für das Asylverfahren kann aber auch bei einer Registrierung in einem anderen Land auf Deutschland übergehen, wenn hier bereits enge Familienangehörige leben. Außerdem haben Oberverwaltungsgerichte immer wieder entschieden, dass Asylverfahren in Deutschland stattfinden müssen, wenn das Asyl- und Aufnahmesystem in dem formal zuständigen EU-Staat systemische Mängel hat, also dort die absoluten Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden.
Ausnahmen bei der Zurückweisung
Nur in einigen Fällen ist eine Zurückweisung bzw. Zurückschiebung rechtlich möglich: So können Menschen ohne gültiges Visum oder mit bestehender Wiedereinreisesperre für Deutschland an der deutschen Binnengrenze zurückgewiesen werden (sogenannte Zurückweisung nach § 15 AufenthG). Ebenso können Menschen ohne gültiges Visum oder mit bestehender Wiedereinreisesperre, die im grenznahen Bereich aufgegriffen werden, zurückgeschoben werden (sogenannte Zurückschiebung nach § 57 AufenthG).
Entsprechend wurden im ersten Halbjahr 2023 nach Auskunft der Bundesregierung bundesweit insgesamt 2.186 Zurückschiebungen vollzogen. An der Grenze selbst erfolgten im ersten Halbjahr 2023 12.589 Zurückweisungen, die meisten davon an der Grenze zu Österreich und der Schweiz sowie an deutschen Flughäfen. An der deutsch-österreichischen Grenze hat sich dabei nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen mittlerweile eine systematische Praxis rechtswidriger Pushbacks entwickelt. Das heißt, Menschen werden von der Grenzpolizei umgehend zurückgewiesen und nach Österreich verbracht, obwohl sie einen Asylantrag stellen wollten. Ein solches Vorgehen ist, wie oben erläutert, nicht zulässig.
Mit der Einführung von mobilen Grenzkontrollen an der deutsch-polnischen Grenze steigt damit zwar möglicherweise die Wahrscheinlichkeit, dass die Polizei Geflüchtete schneller auffindet. Auf die Zahl der Schutzsuchenden in Deutschland hätte das allerdings keine praktischen Auswirkungen.