Mahnwache in Eberswalde am 24. Januar 2022
Immer mehr Protest gegen rechtsoffene Corona-Demos
Ob landesweite Unterschriftensammlung oder Gegenkundgebung vor Ort: Zunehmend wird Protest laut gegen rechtsextreme und antidemokratische Positionen bei Versammlungen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen.
Lange war die Reaktion der demokratischen Zivilgesellschaft im Land auf die Corona-Demonstrationen zurückhaltend. Viele Menschen wollen unter Pandemiebedingungen nicht auf die Straße gehen oder sind mit neuen Herausforderungen wie der Kinderbetreuung bei Schul- und Kitaschließungen ausgelastet. Andere wussten die Demonstrationen und Kundgebungen lange nicht eindeutig einzuordnen. Inzwischen wird jedoch immer klarer, dass sie von rechtsextremen Aktivist*innen oder antidemokratischen Inhalten stark beeinflusst und teils auch dominiert sind.
Seit dem Dezember 2021 finden die Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen im Land Brandenburg mit einem immer größeren Zulauf und mittlerweile flächendeckend statt. Woche für Woche ziehen tausende Menschen oft unangemeldet durch die Straßen, um gegen die Kontaktbeschränkungen und eine mögliche Impfpflicht zu demonstrieren, Politik, Presse und Wissenschaft anzugehen und die Konfrontation mit der Polizei zu suchen. Im Januar 2022 nahmen in Brandenburg pro Woche nach Angaben des Innenministeriums bis zu 26.000 Menschen teil.
Ein immer deutlicheres rechtsextremes Auftreten
Diese kommen zwar aus unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft. Auffallend ist jedoch, dass Rechtsextreme sehr häufig die Organisation und die Mobilisierung der Corona-Demonstrationen übernehmen, dort in Gruppen auftreten oder sie bereits dominieren. Gewaltbereite Hooligans und Neonazis sind präsent und stellen zum Teil sogar die Strukturen der Veranstaltungen, bilden Blöcke und Reihen. Zu nennen sind auch Mitglieder und Sympathisant*innen der AfD, des III. Wegs, der NPD oder altbekannte rechtsextreme Organisator*innen der flüchtlingsfeindlichen Proteste von 2015. Über Aufrufe, Redebeiträge, Musik oder ein gezieltes Auftreten z.B. mit Fackeln geben sie den Demonstrationen ihre Prägung. Widerspruch gegen die Rechtsextremen ist selten. Antisemitismus, Diktatur-Vergleiche und Aufrufe zur Gewalt bleiben bei den Demonstrationen und in den zur Mobilisierung genutzten Chat-Gruppen unkommentiert. Damit wird eine rote Linie eindeutig überschritten.
Um so wichtiger ist demokratischer und zivilgesellschaftlicher Widerspruch gegen diese Entwicklung. Doch welche Formen des Gegenprotests sind sinnvoll? Und sind die Teilnehmenden von Corona-Demos noch zu erreichen, die Informationen außerhalb ihrer eigenen Blase grundsätzlich misstrauen? Dazu wurde viel diskutiert, manches neu entwickelt und in der Praxis erprobt. Viele Aktivitäten der Mitglieder des Aktionsbündnisses und weiterer Engagierter der Zivilgesellschaft Brandenburgs konnten über Online-Tools vorbereitet und organisiert, neue Ideen verwirklicht werden.
Auf der Straße und im Internet: Zeichen des solidarischen Miteinanders und gegen Rechtsextremismus
Inzwischen gibt es deutlich erkennbare Zeichen. Viele offene Briefe und Petitionen sind in den vergangenen Wochen entstanden und wurden bereits von zahlreichen Menschen unterschrieben, unter anderem in Bernau, Cottbus, Treuenbrietzen, im Havelland, in Ostprignitz-Ruppin, in Oberspreewald-Lausitz.
Seit dem 21. Januar gibt es zudem die landesweite Petition „Brandenburg zeigt Haltung!“, die zum gemeinsamen Einstehen für eine offene, tolerante und solidarische Gesellschaft aufruft. Sie kritisiert, dass mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Verschwörungsideologien bei den Corona-Demonstrationen Misstrauen, Angst und Hass gesät werden. Zu den zahlreichen Unterzeichnenden aus Zivilgesellschaft, Politik, Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft gehört auch der Vorstand des Aktionsbündnisses Brandenburg.
Andere Aktionen finden in den sozialen Medien statt, wo z.B. unter dem Hashtag #CottbusCares Statements veröffentlicht werden. In Neuruppin sprachen Mediziner*innen des städtischen Krankenhauses auf dem Gegenprotest. In Wittstock klärte das Bündnis gegen Rechts in einem Leserbrief über die Neonazi-Partei der III. Weg auf und forderte dazu auf, den Rechtsextremist*innen nicht hinterherzulaufen. Vielerorts wird den Corona-Toten gedacht. Es werden Banner aufgehängt und Videobotschaften an Wände und Gebäude projiziert. Und in Oranienburg, Müncheberg, Eberswalde, Potsdam und zahlreichen anderen Orten gibt es regelmäßige direkte Gegenproteste. Zu beobachten ist, dass auch andere zivilgesellschaftliche Initiativen sich dadurch ermutigt fühlen, selbst aktiv zu werden.
Wie sich die Corona-Demonstrationen entwickeln und ob sie sich weiter radikalisieren, hängt nicht nur vom Pandemiegeschehen und der Diskussion um eine Impfpflicht ab. Insbesondere vor Ort ist auch die Intervention der Zivilgesellschaft wichtig, denn sie hat große Strahlkraft. An ihr liegt es, auf rechtsextreme Akteure hinzuweisen, antidemokratische Parolen zu identifizieren und Wege zu finden, diesen klar die rote Karte zu zeigen.
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