Neutralitätsgebot – wer muss neutral sein?
In der öffentlichen Auseinandersetzung taucht der Begriff der Neutralität in den letzten Jahren verstärkt auf. Unter anderem Lehrer_innen, Empfänger_innen staatlicher Förderung und sogar Kunst, Wissenschaft und Presse wird vorgeworfen, gegen das Neutralitätsgebot zu verstoßen.
Gibt es ein solches Gebot? Wer muss sich daran halten? Und was ist mit „Neutralität“ eigentlich genau gemeint?
Neutralität als Waffe gegen unliebsame Kritik
Der Vorwurf, eine angebliche Neutralitätspflicht werde verletzt, erfolgt zumeist als Reaktion auf unliebsame Kritik. Gerade jene, die beständig beklagen, man dürfe nicht mehr seine Meinung sagen, fordern von anderen Neutralität und wollen ihnen damit den Mund verbieten. Fast immer sind die Vorwürfe unberechtigt. Vielmehr geht es darum, Kritiker_innen einzuschüchtern und ihre Handlungsspielräume einzuengen.
Das Eintreten für demokratische Werte ist immer richtig
Die Würde des Menschen, die Gleichberechtigung der Geschlechter, das Einstehen gegen rassistische Diskriminierung, das Recht auf Asyl wie auch die anderen Grundrechte sind wichtige Verfassungswerte. Gegenüber diesen kann der Staat nicht neutral sein. Er und seine Beamt_innen, die Angestellten des öffentlichen Dienstes und die Empfänger_innen staatlicher Zahlungen werden sogar angehalten, für unsere Verfassungswerte einzutreten. Auch die Landesverfassung Brandenburgs betont die Aufgabe, sich für das friedliche Zusammenleben und gegen die Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts einzusetzen. Es kann also – anders als gerade von Rechten oft behauptet – nicht darum gehen, dass sich der Staat wertneutral verhalten soll. Wohl aber ist er angehalten, die parteipolitische Neutralität zu wahren.
Sachlich ja, wertneutral nein
Der Staat und seine Repräsentant_innen sind zwar verpflichtet, Parteien nicht zu benachteiligen. Beamt_innen und Angestellte des öffentlichen Dienstes, etwa Lehrer_innen, dürfen jedoch sehr wohl über Inhalte und Programme von Parteien sprechen, so lange sie dies ausgewogen tun und anderen nicht ihre Meinung aufdrängen. Wahlempfehlungen, einseitige Urteile über einzelne Parteien oder der Aufruf zu Protesten gegen eine bestimmte Partei sind ihnen nicht erlaubt. Plakate oder Äußerungen für allgemeine Verfassungswerte und gegen Diskriminierung sind jedoch möglich.
Nicht-staatliche Akteure wie Vereine, Verbände oder Einzelpersonen dürfen sich grundsätzlich frei äußern. Sie haben das Grundrecht, sich in die politische Debatte einzubringen. Sie müssen dabei nicht ausgewogen sein und dürfen sachlich fundierte Kritik auch überspitzt formulieren. Wenn sie staatliche Förderungen beziehen, dürfen sie vor allem in Wahlkampfzeiten nicht unmittelbar in die Chancengleichheit der Parteien eingreifen. Falsche Tatsachenbehauptungen oder Beleidigungen sind damit aber nicht gemeint. Wer andere zitiert, muss dies auch nachweisen können, und wer andere diffamiert, kann Ziel zivilrechtlicher Schritte oder sogar einer Anzeige werden.
Weitere Informationen:
Hendrik Cremer: Das Neutralitätsgebot in der Bildung. Neutral gegenüber rassistischen und rechtsextremen Positionen von Parteien? Hg. v. Deutschen Institut für Menschenrechte. Berlin 2019.
Friedhelm Hufen: Politische Jugendbildung und Neutralitätsgebot. In: Recht der Jugend und des Bildungswesens (RdJB ), 2/2018, S. 216-221, sowie der Vortrag vom 6. April 2019 in Potsdam.