© Aktionsbündnis Brandenburg
Kein Schlussstrich!
Auf seinem 58. Plenum verabschiedete das Aktionsbündnis ein Statement anlässlich des bevorstehenden Jahrestages der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU).
Vor zehn Jahren, am 4. November 2011, enttarnte sich der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU). Bis dahin hatte er zehn Menschen ermordet: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. Hinzu kommen nach heutigem Kenntnisstand 43 Mordversuche, drei Sprengstoffanschläge und 15 Raubüberfälle. Wir trauern um die Opfer – sie sind unvergessen! Wir solidarisieren uns weiterhin mit den Betroffenen und ihren Angehörigen.
Im Juni 2019 beendete der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des Brandenburger Landtags nach drei Jahren seine Arbeit. Es konnten nicht alle Fragen umfassend geklärt werden, jedoch wurde einmal mehr deutlich: Auch wenn es vermutlich in Brandenburg keine Taten des NSU gegeben hat, existierten hier rechtsterroristische Strukturen, die eng mit dem NSU und seinem Umfeld vernetzt waren. Deutlich wurde, dass der Brandenburger Verfassungsschutz in skandalöser Art und Weise zum Schutz seines V-Manns „Piatto“ wichtige Hinweise zurückgehalten hat, die möglicherweise zum Erfassen der Täter_innen hätten führen können.
Die brandenburgische Landesregierung steht in der Pflicht, alles dafür zu tun, um rechtsextremen und rassistischen Terror mit allen Kräften zu verhindern und für lückenlose Aufklärung zu sorgen. Zehn Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU darf es keinen Schlussstrich geben! Die Taten des NSU-Netzwerks und alle Formen von institutionellem Rassismus in der Ermittlungspraxis, von Rassismus in der Politik und der Gesellschaft wirken fort. Das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden ist nach wie vor tief erschüttert. Es ist unser aller Verantwortung, entsprechende Lehren aus den Erfahrungen mit dem NSU-Komplex zu ziehen.
Wir sehen, dass die Landesregierung an einigen Stellen Verbesserungen geschaffen hat und die Sensibilität gewachsen ist: So gab es eine Gesetzesnovelle zum Verfassungsschutz, die unter anderem den Einsatz von V-Personen unter stärkere parlamentarische Kontrolle stellt. Ein „Extremismusbeauftragter“ wurde 2021 bei der Polizei eingesetzt, zu dessen Aufgaben es gehört, innerhalb der Behörde für Rassismus- und Rechtsextremismusprävention zu sorgen. Verabschiedet wurde zudem der Maßnahmenplan gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität, mit dem die Handlungsempfehlungen des Kabinettsausschusses des Bundes insbesondere für den Bereich der inneren Sicherheit aufgegriffen und umgesetzt werden sollen. Dieser versteht sich als Ergänzung bestehender zivilgesellschaftlicher und staatlicher Präventionsangebote.
Aber wir als Aktionsbündnis Brandenburg sagen: Das reicht uns nicht! Im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses wurde eine Vielzahl von Empfehlungen vorgenommen. Einige der Vorschläge liegen offenbar auf Eis. Wir fordern von der Politik in Brandenburg eine transparente, parlamentarische Verständigung darüber, wie mit den noch offenen Empfehlungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss weiter verfahren werden kann. Auch muss die im Koalitionsvertrag vereinbarte unabhängige Beschwerdestelle für polizeiliches Fehlverhalten endlich eingerichtet werden.
Wir brauchen auch weiterhin eine kontinuierliche gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung, denn: Das Problem heißt Rassismus. Die Politik muss diese Auseinandersetzung nach Kräften fördern, denn die Bekämpfung von Rassismus ist die wirksamste Prävention gegen rechten Terror. Und nur wenn wir uns mit allen Facetten des Rassismus in unserer Gesellschaft beschäftigen, können wir den Betroffenen wirklich solidarisch zur Seite stehen.
Aktionsbündnis Brandenburg | 28. Oktober 2021