Dabei geht es zumeist um die geeigneteste Form der kurzfristigen Unterbringung der Schutzsuchenden. Allzu oft werden emotionale Debatten geführt, in denen insbesondere die extreme Rechte mit rassistischen Bildern und Vorurteilen arbeitet. Sie ist nicht an konstruktiven Lösungen interessiert, sondern setzt auf Empörung und Stimmungsmache.
Angesichts der oftmals komplexen Debatten in den Kommunen ist es wichtig, die Fakten zu analysieren: Welche Menschen müssen unter welchen rechtlichen Bedingungen in Unterkünften leben? Gibt es eine Alternative zur Einrichtung großer Unterkünfte und wie kann die Aufnahme von Schutzsuchenden vor Ort gut gelingen? Hierbei zeigt sich, dass die geschaffenen Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte keineswegs gute Orte sind, in denen Menschen selbstbestimmt leben können. Eine dezentrale Unterbringung der Geflüchteten hätte dagegen viele Vorteile.
Die Ausgangslage
Kein Mensch flieht freiwillig. Menschen werden vielmehr durch Kriege, Gewalt, individuelle und kollektive Verfolgung oder Unterdrückung dazu gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen und in anderen Regionen ihres Heimatlandes, oft aber auch in anderen Staaten Schutz zu suchen.
Ist schon die Flucht selbst keine freiwillige Entscheidung der betroffenen Menschen, gilt dies ebenso für ihre Unterbringung im Aufnahmeland. Denn darüber, wie sie nach der Flucht leben (müssen), können Geflüchtete in den seltensten Fällen frei entscheiden.
Daraus folgt auch, dass Schutzsuchende nicht freiwillig in Unterkünften und Lagern leben. Vielmehr sind sie während und nach der Flucht häufig dazu gezwungen, in Provisorien unterzukommen – aufgrund staatlicher Vorgaben, einem Mangel an oder einer Verweigerung von Wohnraum im Aufnahmeland oder weil durch Flucht die eigenen Mittel beschränkt sind.
Auf der anderen Seite geht in der Diskussion um die Unterbringung von Geflüchteten nicht darum, ob, welche oder wie viele Menschen in Brandenburg oder in einzelnen Kommunen aufgenommen werden. Denn sowohl das Grundgesetz als auch verbindliche internationale Abkommen wie die Genfer Flüchtlingskonvention oder die Europäische Menschenrechtskonvention garantieren das individuelle Recht auf Asyl. Diskutieren müssen wir stattdessen darüber, wie wir dies umsetzen, was nötig ist und wer was dafür tun kann und muss.
Wie ist die rechtliche Lage in Deutschland?
Während des Asylverfahrens in der Erstaufnahme
Wer in Deutschland einen Asylantrag stellt, ist zunächst für längere Zeit verpflichtet, in einer Erstaufnahmeeinrichtung des Bundeslandes, dem er oder sie zugewiesen wurde, zu leben. Asylsuchende dürfen sich in dieser Phase außerdem nur in einem beschränkten Gebiet aufhalten. Das heißt, für sie gilt eine sogenannte Residenzpflicht. Die Verpflichtung kann bei Familien mit minderjährigen Kindern bis zu sechs Monate gelten, bei anderen Asylsuchenden sogar bis zu 24 Monate oder unbegrenzt.
Nach einer gewissen Zeit werden viele Asylsuchende aus den Einrichtungen des Landes auf die Kommunen verteilt. Das kann unterschiedlich schnell gehen und ist abhängig von verschiedenen Faktoren: den Kapazitäten der Landeseinrichtungen, den Bedarfen der Menschen (zum Beispiel bei Schutzsuchenden mit Behinderungen, weil Aufnahmeeinrichtungen oft keine angemessene Ausstattung haben), aber auch den politischen Entscheidungen (welche Gruppen etwa bewusst nicht verteilt werden). Manche Menschen werden aber gar nicht aus der Erstaufnahme auf eine Kommune verteilt.
Insbesondere für Kinder und Jugendliche sind Aufnahmeeinrichtungen problematische Orte, in denen auch ihr Recht auf Bildung einschränkt ist. Da Kinder unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ein Recht auf Bildung und damit ein Recht auf einen regulären Schulbesuch haben, müssen Familien mit Kindern im schulpflichtigen Alter spätestens nach sechs Monaten aus den Landeseinrichtungen auf die Kommunen verteilt werden. Das gilt allerdings nicht für Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“. Selbst Familien mit schulpflichtigen Kindern müssen bis zum Ende ihres Asylverfahrens bzw. bis zu ihrer Abschiebung in der Erstaufnahme bleiben – mit allen daraus folgenden erheblichen Auswirkungen auf den Bildungsweg der Kinder.
Während des Asylverfahrens in der Kommune
Wenn Asylsuchende auf eine Kommune verteilt werden, sind sie – sofern sie nicht schon direkt Arbeit finden und ihren Lebensunterhalt selbst sichern können – verpflichtet, an dem ihnen zugewiesenen Wohnort bzw. im Zuständigkeitsbereich der jeweiligen Ausländerbehörde zu wohnen: Sie haben damit eine Wohnsitzauflage. Das erschwert ihnen, eine eigene Wohnung zu finden. Denn selbst in eine freie Wohnung im Nachbarort zu ziehen, wäre ihnen nicht ohne weiteres erlaubt.
Die Kommunen wiederum haben bei der Unterbringung von Asylsuchenden Handlungsspielraum. Kommunen können Menschen in Unterkünften unterbringen. Sie können aber ebenso auf eine dezentrale Unterbringung setzen (bei denen dann entweder die Menschen selbst Mieter*innen sind oder die Kommune als Mietpartei fungiert). In Brandenburg gibt es für die Kommunen keine Vorgabe des Landes, wie lange Asylsuchende in Unterkünften leben müssen und wann sie in eigene Wohnungen ziehen können. Diese Fragen sind den Kommunen überlassen.
Bei den Debatten um die Unterbringung von Schutzsuchenden in den Kommunen können Unterstützer*innen also gegenüber der zuständigen Verwaltung durchaus fragen, ob statt einer großen Unterkunft nicht auch eine dezentrale Unterbringung in eigenem Wohnraum möglich wäre. Ob das – erst recht kurzfristig – eine Option wäre, ist selbstverständlich abhängig von dem kommunalen Wohnungsmarkt. Denn wie viel leerstehende Wohnungen es gibt, ist von Kommune zu Kommune sehr unterschiedlich. In jedem Fall ist es wichtig, nach pragmatischen und flexiblen Lösungen zu suchen.
Anerkannte Schutzsuchende
Menschen mit Anerkennung – also nach erfolgreichem Asylverfahren – haben das Recht, selbstbestimmt eine Wohnung zu suchen. Sie sind bei ihrer Wohnortwahl dann auch nicht mehr auf den Zuständigkeitsbereich der Ausländerbehörde beschränkt. Allerdings gilt für sie in den kommenden drei Jahre eine Wohnsitzauflage für das jeweilige Bundesland. Wer also im Zuge des Asylverfahrens auf Brandenburg verteilt wurde, muss für die ersten drei Jahre nach der Anerkennung hier wohnen. Diese Beschränkung kann nur unter bestimmten Voraussetzungen aufgehoben werden (etwa aus familiären Gründen oder wegen einer Arbeitsaufnahme in einem anderen Bundesland).
Leben im Provisorium
Es gibt vielfältige Gründe, warum zivilgesellschaftliche Unterstützer*innen von Geflüchteten genau im Blick haben sollten, wo und wie diese in den Kommunen untergebracht werden. Aus menschenrechtlicher Sicht können Lager, Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte nur Notbehelfe sein, wenn es akut an Wohnraum mangelt. Denn solche Einrichtungen sind keine Orte, an denen Menschen selbstbestimmt leben können.
„In Gemeinschaftsunterkünften wie der Erstaufnahme haben Menschen kaum Rückzugsmöglichkeiten, sie sind häufig extremen Alltagssituationen, Enge und Stress ausgesetzt,“ urteilt der Flüchtlingsrat Brandenburg. Betreuer*innen und Wachdienste haben meist weitreichende Befugnisse und üben eine soziale Kontrolle aus. In vielen Fällen gibt es in den Einrichtungen nicht einmal die Möglichkeit, selbst zu kochen. Gerade für Kinder stellen solche Unterkünfte kein kindgerechtes Umfeld dar. Geflüchtete Kinder und Jugendliche, die in solchen Unterkünften leben müssen, sind gegenüber anderen Gleichaltrigen in Deutschland direkt und indirekt benachteiligt.
Durch die häufig markante Trennung zwischen den Unterkünften und der Nachbarschaft – mit Zäunen und Mauern, mit Sicherheitsdiensten und Zugangskontrollen – werden die dort untergebrachten Menschen zudem dauerhaft als „Fremde“ stigmatisiert und fühlen sich ausgegrenzt. Ein Ankommen in der Gesellschaft, eine Integration und Teilhabe sind so nachhaltig erschwert.
Wie geht es besser?
Wie die Aufnahme und Unterbringung von Menschen auf der Flucht besser gestaltet werden kann, zeigt das Beispiel der Schutzsuchenden aus der Ukraine. Geflüchtete aus der Ukraine sind nicht verpflichtet, in einem Lager zu wohnen. Sie können frei wählen, wo sie wohnen wollen und können zum Beispiel dorthin ziehen, wo Familienangehörige oder Freund*innen leben, die sie aufnehmen oder bei der Wohnungssuche und beim Ankommen in Deutschland unterstützen können. Zudem haben viele engagierte Privatpersonen Geflüchtete aus der Ukraine bei sich aufgenommen. Die Folge ist, dass knapp 80 Prozent der ukrainischen Schutzsuchenden in privaten Unterkünften oder in eigenen Wohnungen leben. Nur acht Prozent von ihnen sind in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht (Stand: Juli 2023).
Pro Asyl und die Flüchtlingsräte der Länder fordern daher von den Bundes- und Landesregierungen: Alle Asylsuchenden sollen ebenso wie die Schutzsuchenden aus der Ukraine von Anfang an bei Verwandten, Freund*innen oder in eigenen Wohnungen statt in Unterkünften leben dürfen. Das wäre nicht nur gut für die Menschen, weil sie nicht in einer beengten Gemeinschaftsunterkunft unter prekären Bedingungen leben müssten und ihnen ein Ankommen in Deutschland erleichtert wurde.
Zugleich würde das auch bedeuten, dass es weniger Unterkünfte geben müsste. Gerade weil die Planungen von Unterkünften in den Kommunen häufig mit Konflikten einhergehen, könnte ein Abschaffen von Wohnsitzauflagen und Residenzpflichten erhitzte Debatten vor Ort entschärfen. Es lohnt sich also zu schauen, was bei der Aufnahme der Geflüchteten aus der Ukraine gut funktioniert hat. Zwar können Kommunen nicht über die Abschaffung von Wohnsitzauflagen und Residenzpflichten entscheiden, sie haben aber, wie oben gezeigt, bei der Frage der Unterbringung große Spielräume.
Zum Weiterlesen
Pro Asyl: Überfällig: Wohnungen statt Sammelunterkünfte für Flüchtlinge aus allen Ländern (6. März 2023).
Flüchtlingsrat Brandenburg: Thema Unterbringung und Thema Erstaufnahme.
DeZIM.insights Working Paper: New platforms for engagement. Private accommodation of forced migrants from Ukraine (September 2022).
UNICEF: Kindheit im Wartezustand. Studie zur Situation von Kindern und Jugendlichen in Flüchtlingsunterkünften in Deutschland (März 2017).
(Stand: August 2023)