Antifeminismus von rechts
Was haben die rechten Kampagnen gegen „Gender-Wahn“ zu tun mit Vorwürfen der „Frühsexualisierung“, wie sie gegen Pädagog*innen erhoben werden?
Warum berichten politisch aktive Frauen immer häufiger von gezielten frauenverachtenden Angriffen gegen ihre Person? Warum erfuhr das Gesetz zur Anerkennung der „Ehe für alle“ Kritik von rechtsaußen, und was meint die AfD, wenn sie von „Familienförderung“ spricht? Expert*innen aus Wissenschaft und Beratungslandschaft sehen in all dem unterschiedliche Spielarten von Antifeminismus.
Antifeminismus: Was ist das?
Der Begriff des Antifeminismus beschreibt zunächst ein Bündel an Einstellungen und Verhaltensweisen, in denen es um die Aufrechterhaltung traditioneller Geschlechterverhältnisse geht. Gleichzeitig werden feministische Forderungen nach einer Gleichstellung der Geschlechter oder auch das Infragestellen der herkömmlichen Vorstellung von Geschlecht abgelehnt.
Das heißt zum Beispiel, dass eine Vielfalt von Geschlecht als Gefahr für die Gesellschaft gesehen wird und nicht als Zugewinn. Traditionelle Geschlechterrollen werden dafür naturalisiert: Es wird behauptet, Männer und Frauen seien „von Natur aus“ so und ihre Rollen damit unveränderbar. Gleichzeitig werden traditionelle Geschlechterrollen aktiv als Gegenentwurf zu einer Gesellschaft in Stellung gebracht, die sich dem Schutz von Minderheitenrechten und gegen die Diskriminierung von Menschen entlang von Geschlecht oder Sexualität verschrieben hat.
Antifeministische Positionen werden von ganz unterschiedlicher Seite vertreten: So begründen etwa fundamentalistische Christ*innen ihren Einsatz gegen die Gleichberechtigung der Geschlechter mit einer göttlichen Ordnung, der dies zuwiderlaufe. Konservative lehnen sich an diese Vorstellung an und betonen die Unterschiede der Geschlechter, durch deren vollumfängliche Gleichstellung sie ein Verwischen der Geschlechtergrenzen befürchten. Andere Kritiker*innen des Feminismus dagegen fürchten die Benachteiligung von Männern, wenn männliche Privilegien durch den Feminismus infrage gestellt werden.
Die extreme Rechte nimmt auf solche Positionen Bezug: Zunächst dient die Aufrechterhaltung traditioneller Geschlechterverhältnisse der extremen Rechten zur ideologischen Selbstvergewisserung. Darüber hinaus suchen extrem rechte Akteure in den letzten Jahren vermehrt den Schulterschluss mit anderen politischen Spektren. Kampagnen wie zum rechten Feindbild „Gender“ erfüllen eine Scharnierfunktion: Hierüber verspricht sich die extreme Rechte Anschluss an Debatten unter anderem um die Ordnung von Geschlecht im 21. Jahrhundert. Geschlechterpolitische Interventionen etwa um die Frage, wer alles Familie sein darf, sind damit Teil eines breiter angelegten Kulturkampfes der extremen Rechten.
Zusammenhänge mit Sexismus, Frauenhass und Queerfeindlichkeit
Antifeministisches Denken reicht lang zurück – und findet seine Verbreitung in allen Teilen der Gesellschaft. Die Leipziger Autoritarismusstudie kommt im Jahr 2020 zu dem Ergebnis, dass jeder vierte deutsche Mann und jede zehnte deutsche Frau ein geschlossen antifeministisches Weltbild teilt. Einzelnen antifeministischen Einstellungen stimmen über ein Drittel der bundesdeutschen Bevölkerung (47,3% der Männer und 28,7% der Frauen) zu. Die Forschenden fragten nach der Zustimmung zu Aussagen wie „Durch den Feminismus werden die gesellschaftliche Harmonie und Ordnung gestört“ oder „Die Frauen sollen sich wieder mehr auf die Rolle als Ehefrau und Mutter besinnen“.
Es existieren Schnittmengen von Antifeminismus mit Diskriminierungsformen wie Sexismus, mit Frauenhass (der Misogynie) sowie mit Homosexuellen- und Transfeindlichkeit. Nicht immer sind die einzelnen Phänomene trennscharf zu unterscheiden. Und häufig treffen die Angriffe Einzelpersonen und Organisationen – mal mit dem Ziel, ihre Arbeit zu erschweren, mal mit dem Ziel, sie aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Und nicht selten finden wir personelle oder ideologische Verbindungen zur extremen Rechten. Einige Beispiele aus dem Land Brandenburg:
Angriffe gegen sexuelle Bildung in Brandenburg
Der Brandenburger Verein Dreist e.V. arbeitet seit vielen Jahren im Feld frühkindlicher Sexualerziehung und unterbreitet unter anderem sexualpädagogische Beratungs- und Fortbildungsangebote für Kindertagesstätten und andere Einrichtungen. Ein Zeitungsartikel in der MAZ stellte im Dezember 2020 die fachlich anerkannte Arbeit des Vereins vor. In der Folge kam es landes- und später bundesweit zu Angriffen gegen die Arbeit des kleinen Vereins. Unter Titeln wie „Hände weg von unseren Kindern“ und der Behauptung, Dreist e.V. würde gar „Masturbationszimmer“ in Kindergärten einführen wollen, erfuhr der Verein die ganze Bandbreite an antifeministischer Hetze. Denn neben der Ablehnung von „Gender“ ist der Vorwurf der „Frühsexualisierung“ von Kindern die zweite argumentative Figur, die sich wie ein roter Faden durch die Fülle antifeministischer Kampagnen der vergangenen 15 Jahre zieht.
2008 gelang es der Antifeministin Gabriele Kuby unter dem Vorwurf einer angeblichen „Frühsexualisierung“, einen Ratgeber der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zum Thema frühkindlicher Sexualität vom Markt zu nehmen. Ab 2014 nutzte die antifeministische „Demo für alle“ den gleichen Vorwurf, um ihren Protest gegen einen neuen Bildungsplan in Baden-Württemberg argumentativ zu untermauern. Akteure aus dem Netzwerk „Besorgter Eltern“ sowie der „Demo für alle“ beteiligten sich auch an der Hetze gegen Dreist e.V. – ebenso wie die Brandenburger CDU-Politikerin Saskia Ludwig.
Die Angriffe stehen exemplarisch für die emotionale Aufgeladenheit des Themas überall dort, wo es um den (vermeintlichen) Schutz von Kindern geht. Das „Unschuldsobjekt Kind“, so beschreibt es die Sozialwissenschaftlerin Imke Schmincke, besitzt eine enorme Mobilisierungskraft im organisierten Antifeminismus. Im Antifeminismus geht es heute nicht mehr allein um Fragen der Gleichstellung von Frauen und Männern, sondern um Fragen rund um die geschlechtliche und sexuelle Selbstbestimmung von Kindern und Erwachsenen. Im US-amerikanischen Bundesstaat Florida ist kürzlich ein Gesetz verabschiedet worden, welches umgangssprachlich als „Don’t say gay“ („Sag nicht schwul“) diskutiert wurde: Lehrer*innen ist es dort fortan per Gesetz verboten, mit Kindern unter zehn Jahren über sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität zu sprechen. „Frühsexualisierung“ ist das rechte Feindbild, unter dem ähnliches hierzulande verhandelt wird – und das fester Bestandteil eines modernen Antifeminismus ist.
Transfeindlichkeit
Die Sichtbarkeit vielfältiger sexueller und geschlechtlicher Lebensweisen gerät immer wieder in den Fokus antifeministischer Angriffe: sei es durch Gesetzesänderungen, wie etwa die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften, oder sei es durch selbstbewusst sichtbare Trans*personen in der Öffentlichkeit. Die Musikerin und Autorin FaulenzA spricht öffentlich über ihre Leidenschaft für den Fußball – und die Ablehnung, die sie als Trans*frau in der Vergangenheit in Fußballfanszenen erfahren hat. Sie gehört heute fest zur Fanszene des SV Babelsberg 03 und engagiert sich bei der Fangruppe „Babelsqueers“. Fans des SV Energie Cottbus nahmen dies zum Anlass für eine offen transfeindliche Choreographie beim Spiel gegen den Verein. [1]
Die Fanszene des SV Energie Cottbus ist in der Vergangenheit immer wieder durch Verbindungen in die militante rechte Szene Brandenburgs in die Kritik geraten. Die Presseabteilung des Vereins distanzierte sich im Nachhinein von „diffamierenden und beleidigenden Äußerungen jeder Art“. Der spezifisch transfeindliche Charakter wird in der Reaktion des Vereins jedoch nicht thematisiert – und von vielen vermutlich auch gar nicht als solcher erkannt. Anders der SV Babelsberg, der sich mit FaulenzA solidarisierte: „Transfeindlichkeit und Diskriminierung trifft uns alle. Wir wünschen uns eine Fussballkultur, in der alle Menschen willkommen sind, unabhängig ihrer Identität, Sexualität, Hautfarbe, Herkunft, und, und, und! Gegen Transmisogynie in Cottbus und anderswo!“
Frauenfeindlichkeit und Misogynie
Der Verein Opferperspektive vermeldet in seinen Berichten eine Zunahme LGBTIQ-feindlicher Angriffe im Land Brandenburg, wobei LGBTIQ für „Lesbian Gay Bisexual Trans Intersex Queer“ bzw. für „Lesbisch Schwul Bi Trans* Inter* Queer“ steht. Zugleich steigt in den letzten Jahren aber auch die Zahl rassistisch motivierter Angriffe gegen Frauen und Kinder. Insbesondere Frauen mit sichtbarem Migrationshintergrund werden vermehrt Ziel solcher Angriffe. Ihnen wird in den Bauch getreten, sie werden beschimpft oder Unbekannte versuchen, ihnen das Kopftuch vom Kopf zu ziehen. Im rechten Feindbild der (muslimischen) Frau verzahnen sich Rassismus, Antifeminismus und Frauenfeindlichkeit in einer gefährlichen Weise. Die Folgen dessen erfahren Frauen und ihre Kinder in ihrem Alltag in Brandenburg. Auch Politikerinnen wie die Cottbuser Stadtverordnete Barbara Domke berichten regelmäßig von Angriffen gegen ihre Person, in denen sie explizit als Frau und als politische Gegnerin Hass ernten. [2]
Doch die Frauenfeindlichkeit drückt sich nicht nur in vermehrten Angriffen gegen Frauen aus, sondern auch in einem männlichen Besitzdenken über Frauen und Familie. Im Dezember 2021 schockierte eine Meldung aus dem Ort Senzig die Öffentlichkeit: Dort erschoss ein Mann zunächst seine Töchter, seine Ehefrau und anschließend sich selbst. In den Tagen nach der Tat wurde bekannt, dass der Mann zuletzt Impfnachweise unter anderem für seine Ehefrau gefälscht hatte. Anstelle sich möglichen rechtlichen Konsequenzen zu stellen, entschied er sich für den erweiterten Suizid. In seinem Abschiedsbrief beschreibt er die Angst, als Ehemann, Vater und Familienvorstand versagt zu haben. Was zunächst als „Familiendrama“ beschrieben wurde, offenbart seine politische Dimension im patriarchalen Besitzdenken des Mannes. Die Opferperspektive Brandenburg stellte fest, dass sich der Täter neben antisemitischen Verschwörungsmythen in seinem Abschiedsbrief zudem rassistisch geäußert haben soll. Der Verein forderte wenige Tage nach der Tat, deren politischen Dimensionen in die Ermittlungen einzubeziehen und führte aus, „dass sich psychische Erkrankungen des Täters und politische Motive nicht gegenseitig ausschließen, sondern dass politische Motive vielmehr Teil eines Motivbündels sein können.“.
Organisierter Antifeminismus in Brandenburg
Rechtsaffine Fußballfans, Personen aus der Querdenken-Szene, selbsternannte „Besorgte Eltern“, – antifeministisches Denken verbindet unterschiedliche politische Milieus. Der extremen Rechten ist dies nur recht, dienen ihr Fragen rund um Geschlecht, sexuelle Selbstbestimmung und die Vielfalt von Lebensweisen doch regelmäßig zur Profilierung und als Scharnier zwischen der extremen Rechten und anderen politischen Milieus.
So nahm im September 2017 der damalige AfD-Landtagsabgeordnete Steffen Königer am jährlichen „Marsch für das Leben“ in Berlin teil. Die Demonstration, deren Kernthema die Forderung nach einem Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen ist, wird jährlich vom Bundesverband Lebensrecht e.V. angemeldet und unter anderem von prominenten CDU-Mitgliedern unterstützt. Königer vertrat inhaltliche Positionen der Lebensschutzbewegung auch im Brandenburger Landtag: In einer Kleinen Anfrage im Mai 2016 fragte er nach Hintergründen zu Schwangerschaftsabbrüchen im Bundesland. Auch die Landtagsfraktion der CDU erkundigte sich in einer Kleinen Anfrage im Oktober 2018 nach Hintergründen zu Schwangerschaftsabbrüchen in Brandenburg und positionierte sich ähnlich wie Königers Fraktionskollegin Birgit Bessin gegen die Abschaffung des umstrittenen Paragraphen 219a. [3]
Die Angriffe gegen Dreist e.V. zeigen exemplarisch die Bedeutung extrem rechter Akteure im organisierten Antifeminismus: Nach den Reaktionen unterschiedlicher außerparlamentarischer Akteure aus dem organisierten Antifeminismus stellte die AfD eine Kleine Anfrage zur Arbeit des Vereins im Brandenburger Landtag (und später im Bundestag). Hiermit trug die Partei die zuvor vornehmlich im Netz geäußerten Anwürfe ins Parlament – und gab ihnen eine öffentliche Bühne. Die Inhalte und argumentativen Figuren antifeministischer Kampagnen finden sich immer wieder in Anträgen und Kleinen Anfragen der AfD im Brandenburger Landtag: Regelmäßig wird die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten im Land Brandenburg angegriffen und zuletzt gar ihre Abschaffung zugunsten von „Familienbeauftragten“ gefordert. Familie wird traditionell als Zusammenleben von Mann, Frau und Kind gedacht und im Zuge einer von der AfD beschriebenen „aktivierenden Familienpolitik“ mit dem Ziel einer Geburtenförderung im Land Brandenburg verbunden.
Mit dem Magazin Compact hat außerdem ein Akteur seinen Sitz in Brandenburg, für den Antifeminismus und die Hetze gegen eine Vielfalt geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen zum Kern des eigenen Weltbilds gehört. Bereits 2014 erschien ein eigenes Sonderheft, welches eine „sexuelle Umerziehung“ und „Frühsexualisierung“ von Kindern beklagte – Vorwürfe wie sie Jahre später auch Dreist e.V. und anderen Trägern gemacht wurden.
Das rege Engagement von Birgit Bessin, Sprecherin der AfD-Fraktion für Frauen- und Familienpolitik und seit April 2022 Landesvorsitzende der Partei, zeigt: Extrem rechte Frauen sind mitnichten weniger politisch, sondern aggressiv in ihrer Hetze gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. Ihr Einsatz für die Rechte und vor allem den Schutz von Frauen reproduziert das Bild vom „gefährlichen fremden Mann“ und endet regelmäßig dort, wo es um die Solidarität mit jenen Frauen und Queers* geht, die Gewalt durch mehrheitsdeutsche Täter*innen erfahren.
Was tun?
Die permanenten Angriffe auf die Arbeit geschlechterpolitischer Akteure im Land Brandenburg macht es diesen schwer, sich auf die eigene Arbeit zu konzentrieren. Kleine Vereine sind monatelang damit beschäftigt, sich den Anfeindungen zu stellen und die eigene Arbeit zu erklären. Frauen und Queers* befürchten vermehrt Angriffe im öffentlichen Raum und müssen sich um Unterstützung bemühen. All dies sind große Herausforderungen für ein gelebtes demokratisches Miteinander. Diesen gilt es im Kleinen wie im Großen zu begegnen: Indem die Angriffe ernst genommen werden und die Betroffenen breite Unterstützung erfahren. Indem Fragen rund um geschlechtliche und sexuelle Vielfalt nicht einigen wenigen Expert*innen überlassen werden, die sich gegen Anfeindungen wegen ihrer eigenen Arbeit, womöglich sogar auf die eigene Person wehren müssen, sondern als selbstverständlicher Teil des demokratischen Miteinanders verstanden werden. Und indem Beratungsangebote die vielfältigen Dimensionen geschlechtsbezogener Gewalt und antifeministischer Angriffe in die eigene Beratungsarbeit mit einbeziehen.
[1] So entrollten Fans des SV Energie Cottbus beim Spiel gegen den Babelsberger SV ein Transparent, welches FaulenzA zeigt mit dem Kommentar „Eure Daten sind uns scheißegal. Sind eure Fressen doch die größte Qual“. Der Spruch nahm Bezug darauf, dass einige Fans des SV Babelsberg 03 nicht zum Regionalderby reisen wollten, da im Zuge der Pandemie ihre Daten vom Verein Energie Cottbus gespeichert würden.
[2]Barbara Domke schrieb am 24. Januar 2022 auf Twitter: „Du stehst mit deinem Sohn samstagabend in der Stadt und wartest auf deinen Mann. Dann kommt eine Gruppe Frauen und Männer vorbei und rufen laut: ,Guck mal, die fette Domke! und rufen noch weitere Beleidigungen. An mir perlt es ab. An meinem 14-jährigen Sohn nicht.“
[3]Der Paragraph 219a verbot es Gynäkolog*innen bis dato, Informationen über medizinische Schwangerschaftsabbrüche auf ihrer Homepage aufzuführen. Das Bundeskabinett hat im März 2022 die Aufhebung des „Werbeverbotes für Abtreibungen“ beschlossen. Ärzt*innen dürfen damit künftig öffentlich darüber informieren, dass und mit welcher Methode sie Abtreibungen durchführen.