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Corona und rechtsextreme Mobilisierung in Brandenburg
Die Dimensionen der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen stellen für Brandenburg ein Novum dar. Wie lassen sie sich politisch einordnen? Und wie stark ist der Einfluss von rechtsextremen Akteuren? Ein Gespräch mit Christoph Schulze vom Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) an der Universität Potsdam.
Das MMZ beobachtet seit Jahren das Protestgeschehen im Land Brandenburg. Wie sind Sie diesmal vorgegangen?
Wir haben ermittelt, wie viele Proteste in den Jahren 2020 und 2021 gegen die Corona-Maßnahmen stattgefunden haben. Genutzt haben wir dafür die Medien dieser Bewegung selbst, dazu die Brandenburger Presse und andere öffentliche Quellen wie Landtagsdokumente. So haben wir Daten, Orte und Größe der Proteste erfasst. Anschließend haben wir nachvollzogen, wie sich diese Bewegung über die Zeit entwickelt hat – nicht nur in Bezug auf die Größe, sondern auch in Bezug auf die verwendeten Aktionsformen und die Themen, die in den Mittelpunkt gerückt wurden.
Von welchen Dimensionen sprechen wir? Wie viele Menschen waren in Brandenburg auf der Straße?
Zehntausende. Nach allem, was wir bisher sagen können, war es das dichteste Protestgeschehen, das es bisher im heutigen Land Brandenburg gegeben hat. So viele und so große Demonstrationen in dieser geographischen und sozialen Breite, das war schon etwas Außergewöhnliches. Die letzten großen und von rechts kommenden Proteste in Brandenburg waren die flüchtlingsfeindlichen Mobilisierungen in den Jahren 2015/2016. Diese hatten ebenfalls eine immense Größenordnung erreicht, wurden aber von den Protesten der vergangenen Monate übertroffen. Zeitweise waren jetzt an die 100 Orte in Brandenburg dabei, in denen jeden Montag gleichzeitig Menschen auf die Straße gingen. Das reichte von kleinen Protesten mit einem Dutzend Leuten bis hin zu den Großdemonstrationen im deutlich vierstelligen Bereich mit zum Teil über 4.000 Menschen.
„Für die Protestkultur im Land Brandenburg ist das außergewöhnlich viel.“
2020 und 2021 haben wir insgesamt 1.400 Proteste in Brandenburg gezählt. Daran nahmen summiert über 130.000 Menschen teil. Etwas mehr als ein Drittel davon hatte mindestens 50 Teilnehmende. 13 Demonstrationen überstiegen die Anzahl von 1.000 Teilnehmenden. Für die Protestkultur im Land Brandenburg ist das außergewöhnlich viel. Wir konnten durch unseren begrenzten Untersuchungszeitraum – 2020 und 2021 – nur eine Zwischenbilanz ziehen. Ab Januar 2022 gingen die Proteste dann auf zunächst hohem Niveau weiter.
Welche Inhalte wurden auf den Demonstrationen verbreitet und wie lassen sich diese politisch einordnen?
Wir haben es hier mit einer bundesweiten Bewegung zu tun, die überall – auch in Brandenburg – sozial und kulturell sehr heterogen war und ist. Das ist nichts Ungewöhnliches: Bei sozialen und politischen Bewegungen sind fast immer unterschiedliche Akteure aktiv. Der kleinste gemeinsame Nenner in diesem Fall war das Bestreiten, dass es sich bei Corona um eine Pandemie handelt, die so gefährlich ist, dass dadurch staatliche Schutzmaßnahmen gerechtfertigt sind. Später kam das Thema Impfablehnung dazu. Beides war unterlegt mit einem sehr starken Misstrauen gegen staatliche Institutionen und gegen die Medien. Eine Grundierung in den Protesten war: „Wir werden angelogen.“ Trotz der Heterogenität dieser Bewegung haben wir jedoch festgestellt, dass im Land Brandenburg rechte und rechtsextreme Kräfte den stärksten Einfluss hatten.
Welche Protagonist*innen aus dem rechtsextremen Spektrum waren präsent?
Die extreme Rechte hat sich als einziges politisches Spektrum eindeutig zu diesen Fragen positioniert, nämlich auf der Seite der Pandemie-Leugnung. Wichtigster Akteur im Land Brandenburg war hier der rechtsextreme Landesverband der AfD. Er hat seine Bewegungspolitik fortgesetzt, die er seit 2014, also seit den Pegida-Protesten, kultiviert hatte. Das heißt, die sichtbaren Aktivitäten wurden unter dem Label der AfD durchgeführt, und hinzu kamen Proteste, die aus ihren Vorfeldorganisationen organisiert wurden. Die bekannteste dieser Gruppierungen ist der Verein Zukunft Heimat, der in Cottbus tätig ist. Daneben ist etwa die Neonazi-Partei Der III. Weg in Erscheinung getreten und hat nicht nur den Protesten teilgenommen, sondern an einigen Orten sogar eigene Demonstrationskampagnen ausgerichtet.
Hinzu kommen die mal deutlicher, mal weniger deutlich rechtsextrem ausgerichteten verschwörungsideologischen Szenen, die es ja schon länger gibt. Sie sind politisch lose organisiert, also nicht als Verein, als Partei, als Kameradschaft oder ähnliches. Sie stützen sich auf digitale Kommunikationszusammenhänge. Die Gruppen und Kanäle beim Messengerdienst Telegram sind regional ausdifferenziert, nach Landkreisen und größeren Städten. Gerade Telegram hat bei der Koordinierung dieser Proteste eine sehr wichtige Rolle gespielt. Wir reden hier über Zehntausende Menschen, die in den entsprechenden Kanälen unterwegs waren.
Wo gab es in Brandenburg Schwerpunkte für rechtsextreme Präsenz und welche Erklärung gibt es dafür?
Seit vielen Jahren ist die Stadt Cottbus Schauplatz einer rechtsextremen Protestkampagne. Ein Hauptakteur ist dort der rechtsextreme Verein Zukunft Heimat, eine Vorfeldorganisation der AfD. Auf dieser Kampagne aufbauend wurde Cottbus zum Schauplatz der teilnehmerstärksten Demonstrationen im Rahmen der Corona-Proteste – wieder von Rechtsextremen aus der Sphäre von AfD und Zukunft Heimat organisiert. Die dortigen Demonstrationen im Dezember 2021 gehören zu den größten rechtsextremem Versammlungen in der Geschichte des modernen Lands Brandenburg.
Ein weiteres Beispiel ist Eisenhüttenstadt, dort wurden die Proteste zwar als überparteilich beworben, aber von einem AfD-Funktionär gestaltet. In Neuruppin hat der vormalige Bürgermeisterkandidat der AfD eindeutig antisemitische und rechtsextreme Positionen verbreitet. In Eberswalde gab es große Demonstrationen, die sich öffentlich als „bürgerlich“ präsentierten, während in den Sozialen Medien harte verschwörungsideologische und rechtsextreme Positionen verbreitet wurden. Hinzu kommt die Kampagne des III. Weg im Nordwesten des Bundeslandes.
Es ließen sich noch viele weitere Beispiele nennen – die Rolle von Rechtsextremen in den Protesten war entscheidend. Es gibt jedoch auch Gegenbeispiele von lokalen Protesten, bei denen die Rechtsextremen eher Zaungäste blieben – trotz vorhandener Pandemie-Leugnung und Verschwörungsdenken, trotz Relativierungen des Nationalsozialismus. In einigen Orten gab es auch Bemühungen um eine Distanzierung zu Interventionen von offensichtlich neonazistischen Akteuren.
Wie steht es mit der Kontinuität von einzelnen rechtsextremen Akteuren?
Nehmen wir zum Beispiel Lars Günther: Er ist seit den sogenannten Friedensmahnwachen, die sich vor dem Hintergrund der damaligen Krim-Krise 2014 gebildet hatten, politisch präsent. Danach hat er ab 2015 eine Vielzahl flüchtlingsfeindlicher Demonstrationen organisiert. Über diese Aktivitäten ist er zur AfD gekommen und schließlich in den brandenburgischen Landtag gewählt worden. Als Abgeordneter hat er seine Demonstrationspolitik fortgesetzt und sich in die Corona-Protestbewegung eingebracht.
Unterscheidet sich die Entwicklung in Brandenburg von anderen Bundesländern?
Es gab bundesweit gesehen ein Ost-West-Gefälle bei diesen Protesten. Da reiht sich Brandenburg in andere ostdeutsche Bundesländer ein. Im Südwesten der Republik sind esoterische, alternative Szenen und anthroposophische Milieus in der Bewegung sehr viel präsenter gewesen. Im Osten Deutschlands sind hingegen die rechtsextremen Anteile klarer hervorgetreten. Dies ist auch in Brandenburg der Fall.
In Brandenburg erwies sich die AfD als sehr einflussreicher Akteur. In Sachsen hingegen hatte sie Mühe, der Protestdynamik zu folgen. In vielerlei Hinsicht wichtigster Akteur wurde dort eine eigens gegründete rechtsextreme Bewegungsorganisation, die formal als Partei auftritt: die Freien Sachsen.
Bei den Methoden des Protests – etwa bei den massenhaften Verstößen gegen Corona-Schutzmaßnahmen oder die Übertretungen der Vorgaben des Versammlungsrechts – bewegte sich Brandenburg im ostdeutschen Durchschnitt. Dies trifft ungefähr auch auf Straftaten zu. Im Zusammenhang mit den Protesten gab es in Brandenburg Hunderte Straftaten, darunter Dutzende Gewalttaten. Ein fürchterliches, herausragendes Ereignis fand in Brandenburg statt, als im Dezember ein Mann in Königs Wusterhausen seine Frau und seine drei Kinder ermordete und sich dann selbst tötete. Der Mann war Teil der verschwörungsideologischen Szenen und in den entsprechenden Telegram-Kanälen aktiv, auch in derjenigen, die die Proteste in Königs Wusterhausen verantwortete. In seinem Abschiedsbrief begründete er sein Tun mit den Corona-Maßnahmen, der Brief enthielt rassistische und antisemitische Passagen. Auf dieser Grundlage wird die Tat behördlich als antisemitisch motiviert eingestuft.
Das MMZ hat schon 2015 die damaligen Proteste gegen Geflüchtete beobachtet. Wie lässt sich das Protestgeschehen zeithistorisch einordnen?
Wenn man grob die Konjunkturen rechter Straßenkampagnen im Osten Deutschlands einteilt, sehen wir: Nach der Wiedervereinigung gab es ein Jahrzehnt, das von Straßengewalt gekennzeichnet war. Es folgten die 2000er Jahre, die geprägt waren von Demonstrationen der NPD und neonazistischer Kameradschaften. Seit etwa zehn Jahren gibt es eine neue Phase, in der von rechter Seite aus weniger klar erkennbar und viel flexibler mit populistischen Techniken agiert wird. Breite gesellschaftliche Milieus, die deutlich über den kleinen Kernbereich des Rechtsextremismus hinausreichen, werden so angesprochen. Die ungefähre Formel lautet: „Wir sind besorgte Bürger, die Demokratie wollen. Wir kümmern uns um die sonst verheimlichten Probleme. Wir als Ostdeutsche wissen, wie es geht, denn wir haben ja schon einmal einen politischen Umbruch herbeidemonstriert.“
Wir sehen gerade, wie in der Corona-Protestbewegung, die in den letzten Wochen stark an Dynamik eingebüßt hat, auf dieser Grundlage versucht wird, an andere Themen – die Energiepreise oder den Ukraine-Krieg – anzuschließen und sie zu transformieren: „So wie wir über Corona belogen wurden, lügt man uns jetzt wieder an.“
Das heißt, ein neues Thema wird schnell gefunden und die Mobilisierungen gegen die Corona-Maßnahmen schreiten nicht weiter fort?
Ja. Die Corona-Protestbewegung wird in der gegenwärtigen Form kurz- oder mittelfristig an ein Ende kommen. Aber dieser Stil der Mobilisierung wird sich wahrscheinlich mit anderen Themen fortsetzen. Infrage dafür kommen etwa Klimawandel und Klimaschutz.