© Reiner Steußloff | Neue Nachbarn in Schönwalde
Wie gründe ich eine Willkommensinitiative?
In vielen Orten Brandenburgs sind Menschen angekommen, die vor Kriegen und Katastrophen Schutz suchen. Geflüchteten die Ankunft bei uns zu erleichtern und für ein gutes Zusammenleben in den Dörfern und Städten zu sorgen, das ist das Ziel von Willkommensinitiativen.
In vielen Gemeinden gibt es sie schon, in anderen werden solche Zusammenschlüsse neu gegründet. Wir haben drei Brandenburger*innen, die sich schon viele Jahre engagieren, gefragt, was für eine erfolgreiche Willkommensinitiative wichtig ist. Hier sind ihre Tipps.
1. Sprechen Sie miteinander, bevor Sie etwas tun.
Kleiderspenden werden nicht gebraucht, ein tolles Freizeitangebot nicht genutzt? Es kann leicht passieren, dass Sie etwas auf die Beine stellen, um Geflüchteten zu helfen, um dann festzustellen, dass Ihr Angebot nicht so angenommen wird, wie Sie sich das vorgestellt haben. Wenn Sie erst mit den geflüchteten Menschen sprechen, können Sie herausfinden, was diese wirklich brauchen und sich wünschen. Sie sollten nicht glauben, dass Sie sich das schon denken können. Es werden auch nicht alle dasselbe benötigen. Manche werden nach schrecklichen Erlebnissen und Strapazen zur Ruhe kommen müssen, andere sich sofort in der neuen Sprache orientieren und die Umgebung erkunden wollen. Familien mit Kindern haben andere Bedürfnisse als alleinreisende Jugendliche oder junge Erwachsene. Fragen Sie einfach.
2. Begegnen Sie einander auf Augenhöhe.
Wenn man in einer Notlage Hilfe erhält, kann das eine schöne menschliche Erfahrung sein. Aber eigentlich wollen Menschen selbstständig sein. Sie wollen für sich selbst sorgen und nicht auf die Hilfe anderer angewiesen sein. Nehmen Sie deshalb Geflüchteten nicht ohne zu fragen Aufgaben ab, die sie aufgrund fehlender Sprach- oder Ortskenntnisse nicht erledigen können. Unterstützen und begleiten Sie sie vielmehr dabei, diese Dinge, so weit sie dies können und auch wollen, selbst zu bewältigen – Hilfe zur Selbsthilfe. Wie ist es, wenn Ihnen Menschen helfen, indem sie Ihnen ihre Zeit, ihr Wissen oder Dinge schenken – dann würden Sie gern etwas zurückgeben, oder nicht? Es kann deshalb wichtig sein, Geflüchteten, die in ihrer Gemeinde gut aufgenommen wurden, zu ermöglichen, etwas für die Ortsgemeinschaft zu tun.
3. Stehen Sie für Menschlichkeit ein.
Alle Menschen verdienen es, dass man ihnen freundlich und unvoreingenommen begegnet. Das klingt selbstverständlich, aber es ist leider weit verbreitet, Geflüchtete nach ihrem Glauben, ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihrem Bildungsstand in eine Rangordnung zu bringen. Es gibt aber keine besseren oder schlechteren Geflüchteten – es gibt nur Menschen, die fliehen mussten. Wenn etwa Spender*innen wollen, dass ihre Spenden nur für Geflüchtete aus einem bestimmten Herkunftsland verwendet werden, weisen Sie freundlich daraufhin, dass Sie gern Spenden für Menschen annehmen, die bedürftig sind – ohne Ansehen ihrer Herkunft.
4. Sprechen Sie sich mit anderen ab.
Wenn Geflüchtete in Ihrer Gemeinde aufgenommen werden, gibt es sehr viele Menschen und Organisationen, die darauf reagieren wollen oder müssen, weil es zu ihren Aufgaben gehört. Für viele Fragen ist die Landkreisverwaltung zuständig, für manches wiederum die Gemeinde. Schulen und Kitas, Einrichtungen von der Bibliothek bis zum Freibad stellen sich auf mehr und vielleicht anderen Bedarf ein, soziale Einrichtungen, Kirchen, die Feuerwehr und Vereine können Angebote machen. Es ist nicht einfach, einen Überblick über die Beteiligten zu gewinnen. Helfen kann Ihnen dabei der*die Integrationsbeauftragte des Landkreises. Es ist wichtig, über geplante Aktivitäten zu informieren und sich abzusprechen, wer welche Aufgabe übernimmt. Laden Sie deshalb, wenn Sie eine Initiative gründen, möglichst alle Beteiligten ein und bleiben Sie miteinander in Kontakt.
5. Stärken Sie, was es schon gibt.
Versuchen Sie, dabei zu helfen, dass Geflüchtete am sozialen Leben teilnehmen und Angebote wahrnehmen können, die für alle Menschen in der Gemeinde offenstehen. Ein Fußballteam für Geflüchtete zu gründen, kann eine tolle Möglichkeit sein, miteinander in einem geschützten Rahmen Sport zu treiben.Wenn der örtliche Fußballverein sich aber offen für geflüchtete Fußballer*innen zeigt, ist die Beteiligung am Vereinssport vielleicht noch ein besserer Weg. Wenn es schon eine Kleiderkammer gibt, die Armutsbetroffene unterstützt, prüfen Sie, ob Sie diese Einrichtung stärken können, anstatt eine zweite zu gründen. Und wenn Sie beispielsweise mit Geflüchteten eine Fahrradselbsthilfewerkstatt aufbauen, könnten Sie alle Bedürftigen, ob geflüchtet oder alteingesessen, daran teilhaben lassen. So entstehen Begegnungen statt Parallelstrukturen, und Sie ermöglichen es vielen, zur Willkommenskultur beizutragen. Indem Sie Angebote für alle stärken, sorgen Sie auch dafür, dass jene, die eine Sozialkonkurrenz zwischen Alteingesessenen und Geflüchteten herbeireden wollen, keine Chance haben.
6. Seien Sie offen für Angebote.
Es gibt sehr viele Möglichkeiten, wie Einheimische zu einer Willkommenskultur beitragen können. Am besten wird dies gelingen, wenn sie das Engagement mit dem verbinden können, was sie gern machen. Unter den Geflüchteten wird es ebenso eine Vielzahl verschiedener Interessen und Kenntnisse geben. Wenn Sie als Initiative die Art und Weise des Engagements nicht fest vorgeben und offen für Angebote von A wie Angeln bis Z wie Zwetschgenkuchen bleiben, können Sie als Vermittler*in agieren und werden so Menschen zusammenbringen können, die gemeinsame Interessen haben.
7. Schaffen Sie Begegnungsräume.
Offene Treffpunkte, in denen sich Engagierte, Geflüchtete und Einheimische begegnen können, ohne Verpflichtungen und Verbindungen eingehen zu müssen, sind wichtig. Wenn Sie die Möglichkeit haben, bei der Kirchengemeinde, einem sozialen Träger oder in einer städtischen Einrichtung regelmäßig einen Raum zu nutzen, richten Sie ein Begegnungscafé ein. Sie können das mit verschiedenen Angeboten wie Rechtsberatung, Sprachtandems oder Kursen verbinden, das kann die Attraktivität des Begegnungsraums steigern.
8. Achten Sie auf sich und ihre Mitstreiter*innen.
Sich gemeinsam für eine gute Sache einzusetzen, kann erfüllend sein. Aber das Ehrenamt kann auch zu viel werden. Achten Sie deshalb darauf, dass Sie sich als Person und als Initiative nur so viel vornehmen, wie Sie auch bewältigen können – auch wenn die Ideen zahlreich und der Bedarf groß sein sollte. Sie sollten sich dabei auf solche Aktivitäten konzentrieren, die Sie wirklich gut machen können. Vermeiden Sie besonders, als rechtliche Berater*innen aufzutreten, denn Sie können dabei folgenschwere Fehler machen – vermitteln Sie lieber an Beratungsstellen. Eine Überlastungsgefahr kann auch entstehen, wenn engagierte Personen allein sehr viel Wissen und Kontakte anhäufen und dadurch unersetzlich erscheinen. Sorgen Sie stattdessen dafür, dass die Lasten auf viele Schultern verteilt werden und das Wissen weitergegeben wird. Vereinbaren Sie, wie lange Sitzungen dauern, und halten Sie sich daran.
9. Lassen Sie sich selbst helfen.
Vernetzen Sie sich mit Aktiven aus den Nachbargemeinden. Nutzen Sie die Erfahrungen, die andere Willkommensinitiativen gemacht haben. Wenn Sie eine Initiative gründen wollen und dabei Unterstützung wünschen, wenden Sie sich an die Geschäftsstelle des Aktionsbündnisses Brandenburg.
Die Tipps stammen aus Gesprächen mit Aktiven im Netzwerk Neue Nachbarn Werder (Havel), Willkommen in Falkensee und Neue Nachbarn in Schönwalde.