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Mein Kind ist rechts – was kann ich tun?
Was tun, wenn sich Jugendliche der extrem rechten Szene zuwenden, wenn gemeinsame Ansichten und Werte plötzlich abgelehnt und Eltern sich mit menschenverachtenden Äußerungen ihres Kindes konfrontiert sehen?
Eine extrem rechte, rassistische oder demokratiefeindliche Orientierung bei Jugendlichen ist für Eltern eine besondere Herausforderung. Vor allem dann, wenn sie die Meinungen und Verhaltensweisen ihrer Kinder kritisch hinterfragen. Es gilt, die eigene Position unmissverständlich deutlich zu machen und gleichzeitig den Kontakt zum Kind nicht zu verlieren. Hinweise auf eine neue Orientierung können sehr unterschiedlich sein. Vielleicht gibt es äußere Veränderungen, zum Beispiel im Kleidungsstil. Oder Ihr Kind hört Musik, bei der Sie rechtsextreme Parolen erkennen. Eventuell tauchen Broschüren oder Flugblätter mit rechtsextremen Inhalten auf oder Ihr Kind äußert sich Ihnen gegenüber in menschenverachtender Art und Weise. In solchen Situationen wechseln Jugendliche nicht selten ihren Freundeskreis und chatten mit Personen aus dem rechtsextrem orientierten Spektrum.
Jugendliche haben in dieser Lebensphase oft noch keine gefestigten politischen Einstellungen und sind zuweilen unsicher in ihrer politischen Orientierung. Teilweise steht am Anfang der Wunsch, „Spaß“ an der rechtsextremen „Erlebniswelt“ zu haben, anders zu sein und zu einer vermeintlich elitären Gruppe zu gehören. Die extrem rechte Szene gibt Jugendlichen das Gefühl, dass sich jemand für sie interessiert, dass sie wichtig und einflussreich sein können. Auf dem Weg zum erwachsenen Menschen müssen und sollten Eltern nicht alle Entscheidungen ihrer Kinder gutheißen. Konflikte sind notwendig. Die Tochter oder der Sohn brauchen Signale und eine konstruktive Auseinandersetzung. Wichtig ist, dass Eltern dabei zeigen, dass sie für ihr Kind da sind und auch zukünftig da sein werden.
Die folgenden Orientierungshilfen beantworten häufig gestellte Fragen von Eltern und sollen diesen gleichsam signalisieren, dass sie mit ihren Unsicherheiten und Sorgen nicht alleine sind. Die Inanspruchnahme fachlicher Hilfe kann hier eine wichtige Unterstützung sein.
Positionierung
Mit einer klaren demokratischen Haltung können Eltern bei ihren jugendlichen Kindern Widersprüche aufdecken und Zweifel säen – oft auch erst mit längerfristiger Wirkung. Suchen Sie frühzeitig das Gespräch mit Ihrem Kind und fragen Sie nach der Bedeutung bestimmter Symbole oder Kleidermarken.
Auseinandersetzung statt Belehrung
Auseinandersetzungen, die eigentlich nur belehren wollen, scheitern häufig. Jugendliche wollen mit ihrem Anliegen ernst genommen werden und erfahren, dass sich jemand für sie interessiert. Beschäftigen Sie sich mit den Inhalten und Argumenten Ihres Kindes und suchen Sie die Diskussion auf Augenhöhe.
Balance finden
Es ist wichtig, eine Balance zu finden zwischen der Auseinandersetzung und dem Ruhenlassen des Themas. Sie können nicht 24 Stunden am Tag um die politische Orientierung streiten! Sorgen Sie stattdessen gelegentlich für gemeinsame „Auszeiten“: Gemeinsames Pizzaessen, Kochen oder Ausflüge ermöglichen wieder ein normales Familienleben, geben beiden Seiten Kraft und können Vertrauen herstellen.
Selbstbestimmung und Abgrenzung
Für Eltern ist es wichtig, die eigenen Grenzen ernst zu nehmen und die Kontrolle über die Situation zu behalten. Sie müssen nicht alles aushalten und sollten auch kommunizieren, wenn Ihnen etwas zu viel wird. Grenzziehungen oder Verbote sollten jedoch klar und fair begründet werden.
Ansprechperson bleiben
Bei aller Belastung sollten Eltern für ihr Kind ansprechbar bleiben und ihrem Kind nach Möglichkeit zur Seite stehen – auch wenn Entscheidungen und Meinungen des Kindes nicht immer nachvollziehbar sind. Bleiben Sie in Beziehung und nehmen Sie auch Leistungen, Erfolge und Entwicklungen Ihres Kindes wahr und vermitteln Sie ein Gefühl von Anerkennung.
Männlichkeitsbilder
Rechte Ideologien sind mit zugespitzten Geschlechterbildern verbunden. Gerade für junge Männer kann es verführerisch sein, sich an einem vermeintlich starken, rechtsextremen Männerbild zu orientieren. Jungs, die auf der Suche nach männlichen Vorbildern sind, können jedoch davon profitieren, wenn sie Kontakt zu Männern pflegen, die für mehr stehen als Härte, Leistung und Hass.
Eigenverantwortung
Rechtsextremismus ist kein Kinderspiel. Jugendliche müssen lernen, die Verantwortung für ihre Entscheidungen zu übernehmen. Jede Handlung hat bestimmte Konsequenzen, über die jeder Mensch am besten im Vorhinein nachdenken sollte. Machen Sie Ihrem Kind gegenüber deutlich, dass dies zum Wunsch nach eigener Entscheidungsfindung dazu gehört.
Verbündete finden
Vielleicht gibt es im Umfeld Ihres Kindes Menschen, die aktuell einen besseren Draht zum ihm haben, eventuell auch, weil die Beziehung weniger vorbelastet ist. Das können Menschen aus der Verwandtschaft, Schule oder Ausbildung, Nachbarschaft, Sport oder Freund*innen sein. Suchen Sie deren Kontakt und tauschen Sie sich aus.
Eltern brauchen einen langen Atem
Natürlich können die Beziehungen zur extrem rechten Szene auch ohne Ihr direktes Zutun wieder enden: durch neue Kontakte oder Freund*innen außerhalb der Szene. Doch darauf sollten Sie sich nicht verlassen! Vor allem Eltern und Angehörige können mit ihrem Mut und ihrer Ausdauer helfen, Wege aus der Szene aufzuzeigen.
Professionelle Hilfe
Professionelle Hilfe zu suchen und anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern zeigt, dass Ihnen viel an Ihrem Kind liegt. Auch der Austausch mit anderen Betroffenen kann entlastend sein. Sie sind nicht die einzigen Eltern in dieser Situation.
Die Initiative ElternStärken bietet Hilfe und Informationen unter der Telefonnummer 0177 6843959 oder online unter www.mein-kind-ist-rechts.de.
Weiterlesen:
Die Berliner Elterninitiative: Erfahrungen einer Selbsthilfegruppe von Eltern rechtsextrem orientierter Söhne und Töchter. Berlin 2011.
beratungsNetzwerk Hessen u.a.: Mein Kind – Kein Nazi?! Tipps für mehr Mut, Verständnis und Vertrauen.
Peltz, Cornelius: Handlungsfähig bleiben – handlungsfähig werden. Rechtliche Grundlagen und Handlungsempfehlungen für Eltern rechtsextremer Jugendlicher. Braunschweig 2010.
Rommelspacher, Birgit: „Der Hass hat uns geeint“. Junge Rechtsextreme und ihr Ausstieg aus der Szene. Frankfurt/M., New York 2006.
Agentur für soziale Perspektiven (Hrsg.): Versteckspiel. Lifestyle, Symbole und Codes von Neonazis und extremen Rechten. Berlin 2017.