© Arbeitskreis Anastasia
Anastasia Bewegung
Die Anastasia Bewegung ist ein rechtsesoterisches Netzwerk, das dazu aufruft, Siedlungen in ländlichen Regionen zu gründen.
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Die Anastasia Bewegung ist ein rechtsesoterisches Netzwerk, das dazu aufruft, Siedlungen in ländlichen Regionen zu gründen.
Die Idee dazu basiert auf der zehnbändigen Romanreihe „Die klingenden Zedern Russlands“ von Wladimir Megre, in welcher der Autor in der russischen Taiga auf die fiktive Figur Anastasia trifft. Das, was Anastasia bzw. Megre über verschiedene Themen zu sagen hat, wird von der Szene als Wahrheit und Anleitung für ein besseres Leben angenommen.
Seit Anfang der 2000er Jahre bildet die Buchreihe die Grundlage einer sich formierenden rechtsesoterischen Siedlungsbewegung mit weitreichender Vernetzung in die rechtsextreme Szene. Untermalt mit antisemitischen Verschwörungsmythen und rassistischen Ideen gibt der Autor die Anleitung für ein vermeintlich besseres Leben, in dem sich eine Familie auf einem Hektar Land selbstversorgen soll und sich im besten Fall mit anderen Familien zu ganzen Siedlungen zusammenschließt.
Die Vernetzung begann in Brandenburg
Während sich der Anastasia Bewegung in Russland 300 Familienlandsitzsiedlungen zuordnen lassen, sind es in Deutschland „nur“ um die 17 Projekte, fünf davon in Brandenburg. Ähnlich wie die gesamte Bewegung sind auch die fünf brandenburgischen Projekte recht unterschiedlich in ihrer Größe, ihren Aktionsformen und ihrem Auftreten.
Spätestens 2011 begannen sich Anhänger*innen der Anastasia Bewegung deutschlandweit zu vernetzen. 2014 resultierte daraus das erste Festival auf der Burg Ludwigstein in Nordhessen. Initiiert wurde das Netzwerk maßgeblich von Iris Krause (früher Wetzig). Mit ihrem Mann Markus Krause gründete sie 2013 das Projekt „Goldenes Grabow“ im Nordwesten Brandenburgs. Heute leben in ihrer sogenannten Familienlandsitzsiedlung sechs Familien auf „Probelandsitzen“. Das sind Landstücke, die der Familie Krause gehören, auf denen diese Familien probehalber wohnen und Gemüse anbauen können.
Eines der ersten Vernetzungstreffen, das Iris Krause organisierte, fand auf dem „Familienlandsitz“ von Familie Blüthner statt. Das Paar Blüthner betreibt ein Ingenieurbüro in Steinreich im Landkreis Dahme-Spreewald, das ökologische Bauplanung „im Einklang mit der Natur“ anbietet.
In Lychen in der Uckermark versuchte André Proetel mit seinem Verein „Mensch Natur Umwelt Uckermark“ – MENAUM e. V. Fuß zu fassen und begann 2014 mit dem Familienlandsitzprojekt „Traumland Lychen“. Nach gescheiterten Versuchen, die Hochschule für nachhaltige Entwicklung (HNE) in Eberswalde mit Forschungsprojekten für sich zu gewinnen, sorgte auch die Gemeindeverwaltung für Gegenwind und Proetel zog sich auf sein „Traumland“ zurück.
In Werder (Havel) im Landkreis Potsdam-Mittelmark befindet sich mit der „Oase Goldammer“ eine weiteres Projekt, das sich positiv auf die Anastasia Bewegung bezieht. Auf der Internetseite werden mit der Werbung für Produkte zur „Trinkwasserbelebung“ unter anderem Verschwörungserzählungen zum Corona-Virus verbreitet.
Eine in der Szene sehr aktive Figur ist Frank Willy Ludwig. Von seinem Wohnort in Nordbrandenburg in der Nähe von Eberswalde aus betreibt er die Webseite „Urahnen Germania“. Deren Ziele sind: „arisches Wissen in den Stämmen erwecken, Reinigung von Mensch und Raum, autarke Siedlung und Schule und regionale Selbstständigkeit“. Zudem produziert Ludwig diverse Videos, in denen er hauptsächlich die Ideen der Anastasia Bücher zur Lösung aller Probleme verklärt und antisemitische Inhalte verbreitet. Spätestens seit 2011 spielt er eine zentrale Rolle für die Vernetzung der Anastasia Bewegung, sei es durch Stammtische im Nachbarlandkreis Märkisch-Oderland, durch Gruppenreisen nach Rügen oder durch Vorträge und Seminare im deutschsprachigen Raum.
Demokratiefeindliche Aussagen finden sich in vielen Videos von Ludwig: Demokratische Staaten erklärt er dort zu von „Dämonen“ gelenkten, kranken Systemen, von denen man „gesund werden“ müsse. Eine Beschreibung, welche man auch in den Anastasia Büchern wiederfindet.
2015 lud das Ehepaar Krause auf ihr Grundstück „Goldenes Grabow“ in der Ostprignitz zum Anastasia Festival ein – im gleichen Jahr fand dort auch das Sommerlager des „Sturmvogels“ statt. Der „Sturmvogel“ ist ein rechtsnationaler Jugendverband, der seine Ursprünge in der 1994 verbotenen rechtsextremen Wiking Jugend hat. Ebenfalls im Jahr 2015 hetzte das Paar mit Falschinformationen gegen Geflüchtete auf einer Bürgerversammlung im Dorf. Sollten geflüchtete Menschen aufgenommen werden, würden sie eine Bürgerwehr gründen.
Markus Krause gilt als Anführer dieser Siedlung, er leitet ein Vermessungsbüro und hat bereits 84 Hektar Fläche in der Gemeinde Heiligengrabe erworben. Die Anastasia Anhänger*innen planten in der Vergangenheit eine Schule nach Anastasia Vorbild zu gründen – der Name „Godenschule“ und das Schuleingangstor stehen bereits. Aufgrund von rechtlichen Hürden bei der Schulgründung wird sich vermehrt für das Konzept „Freilernen“ interessiert und ausgetauscht. Die Schule wurde bislang nicht eröffnet, drei Familien in Grabow bei Blumenthal schicken ihre Kinder jedoch nicht mehr zur Schule.
Sich unangreifbar machen
Frank Willy Ludwig propagiert in seinen Vorträgen, man solle sich als Gründer*innen eines Familienlandsitzes im Dorf zunächst beliebt machen, etwa durch Feste, Singkreise und Tänze. Dadurch werde man weniger angreifbar und wirke friedlich. Bei „Angriffen“ oder Beschuldigungen, rechtsextrem zu sein, könne man dann auf den „Schutz“ einer Dorfgemeinschaft zurückgreifen.
Themen wie nachhaltiges Bauen, Selbstversorgung und die landwirtschaftliche Praktik der Permakultur sind beliebte Einstiegsthemen der Bewegung, um nach außen ökologisch und unverdächtig zu wirken. So schrieb 2012 eine Studentin der Hochschule Eberswalde eine Bachelorarbeit zur Bodenfruchtbarkeit auf Familienlandsitzen, von der sich der betreuende Dozent erst 2019 distanzierte. Die mit einem Nachhaltigkeitspreis der HU Berlin ausgezeichnete Arbeit verleiht der Anastasia Anhängerschaft wissenschaftliche Legitimation. Bis heute wird die Arbeit auf verschiedenen Webseiten von Anhänger*innen der Anastasia Szene als Aushängeschild verbreitet.
Verbindungen in die extreme Rechte
Bereits Anfang der 2000er Jahre engagierte sich Markus Krause in rechtsextremen Zusammenhängen. Er beteiligte sich an den neonazistischen Aufmärschen in Dresden und war 2007 auf dem Ostertreffen des antisemitischen „Bunds für Gotterkenntnis – Ludendorffer“. Das Ehepaar Krause pflegt somit seit jeher mit einschlägigen extrem rechten und antisemitischen Gruppierungen Kontakte und ist gut vernetzt.
Über gute Kontakte in die verschiedenen Milieus der extremen Rechten verfügt auch der umtriebige Frank Willy Ludwig. Von Anastasia Festivals über Treffen von Holocaustleugner*innen bis zu neonazistischen Aufmärschen in Dresden ist er überall anzutreffen. Auch an den Demonstrationen unter dem Motto „Heimatliebe Brandenburg“, die 2018 in Eberswalde stattfanden, nahm er teil. Er beruft sich auf verschiedene sektenartige und rechtsesoterische Strömungen wie der Ynglism Sekte aus Russland oder dem Honigmann-Treffen.
Die Landesregierung antwortete auf eine Kleine Anfrage im November 2020, dass die Anastasia Bewegung in Brandenburg aktuell nicht durch den Verfassungsschutz beobachtet werde. Allerdings prüfe die Behörde „regelmäßig extremistische Entwicklungen insbesondere mit Augenmerk auf rechtsextremistische und antisemitische Tendenzen sowie Bezüge zum Reichsbürger-Milieu.“
Zu den Medienberichten, laut denen die Siedlung „Goldenes Grabow“ Gelder von der Europäischen Union und dem Land Brandenburg erhalten habe, konnte die Landesregierung in besagter Antwort auf die Kleine Anfrage keine Auskunft erteilen.
Die Anastasia Bewegung ist eine heterogene Strömung. Die problematische Weltanschauung der zugrunde liegenden Bücher ist jedoch offensichtlich: Neben antisemitischen und demokratiefeindlichen Elementen lassen sich dort positive Bezüge auf die rassistische NS-Politik finden, wie das Konzept der Telegonie, eine heute zu Recht verworfene Theorie der Vererbungslehre.
Viele Akteure der Szene propagieren zudem ein reaktionäres und homofeindliches Rollen- und Familienbild, das eine Familie aus „Mann, Frau und Kindern“ als einzig zulässigen Lebensentwurf ansieht. Der vermehrte Flächenaufkauf durch die Anhänger*innen der Anastasia Bewegung und die Vereinnahmung in einzelner Dörfer sind ernst zu nehmende Entwicklungen.
Arbeitskreis Anastasia
Zum Weiterlesen:
anastasia.blackblogs.org
Anastasia: Demokratiefeindliche Fabelwelten.EJGF-Mitteilungen #8, Oktober 2020.