Im Rechtsextremismus angekommen
Am 12. März 2020 verkündete Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang die Beobachtung des „Flügels“ als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“. Der „Flügel“ bündelte als inoffizielle Vereinigung unter Federführung des Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke und des ehemaligen Brandenburger AfD-Chefs Andreas Kalbitz seit 2015 die rechtsextremen Kräfte in der Partei. Offiziell wurden die Aktivitäten des „Flügels“ zum 30. April 2020 eingestellt. Am 15. Mai beschloss der Bundesvorstand der AfD die Aussetzung der Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz. Hintergrund waren Mitgliedschaften in rechtsextremen Organisationen, die er bei Parteieintritt nicht angegeben hatte. Nach einem zunächst erfolgreichen Eilantrag durch Kalbitz wurde seine Mitgliedschaft durch das Bundesschiedsgericht der AfD am 25. Juli annulliert. Nachdem er seinem Brandenburger Parteikollegen und Parlamentarischen Geschäftsführer Dennis Hohloch einen Milzriss zugefügt hatte, legte Andreas Kalbitz sein Amt als Fraktionschef am 18. August nieder.
Am 15. Juni 2020 erklärte der Brandenburger Verfassungsschutz den Landesverband der AfD zum rechtsextremen Verdachtsfall. Grund hierfür sind zum einen Verflechtungen mit verschiedenen vom Verfassungsschutz beobachteten rechtsextremen Gruppierungen wie Zukunft Heimat oder der Identitären Bewegung. Zum anderen spielten demokratiefeindliche Äußerungen von AfD-Politker*innen und der starke Einfluss des „Flügels“ eine Rolle für die Entscheidung des Landesamtes für Verfassungsschutz.
Medienangaben zufolge hatte die AfD Brandenburg im Dezember 2023 etwa 2.200 Mitglieder. Ehrenvorsitzender des Landesverbands ist Alexander Gauland (MdB). Landesvorsitzender ist seit März 2024 René Springer, seine Stellvertreter sind Daniel Freiherr von Lützow und Hans-Christoph Berndt, zugleich AfD-Fraktionsvorsitzender im Brandenburger Landtag. Die AfD Brandenburg beendete mit diesem Führungswechsel seine internen Machtkämpfe, die spätestens seit 2021 offen in Erscheinung traten und von der bereits erwähnten Causa Kalbitz ausgelöst worden waren. Hier stand das Lager um Birgit Bessin, das zu Kalbitz und dessen Politikstil steht, jenem von René Springer und Hans-Christoph Berndt gegenüber. Letztere propagieren einen Politikstil, der die kommunale AfD-Basis stärken und konsequent die Machtfrage stellen will. Inhaltlich unterscheiden sich die beiden Lager kaum, beide vertreten völkisch-nationalistische Positionen. Der Landesverband gliedert sich in 18 Kreisverbände und mehrere Ortsverbände, die unterschiedlich stark aktiv sind. Der Landesverband der Jungen Alternative (JA) ist der offizielle Jugendverband der Partei.
Gegenwärtig ist die AfD die stärkste Partei rechts der CDU. In ihrem Ursprung ist sie keine Gründung aus der extremen Rechten heraus, sondern wurde, auch in Brandenburg, in erster Linie von ehemaligen Mitgliedern der Unionsparteien und der FDP ins Leben gerufen. Einige Gründungsmitglieder waren zuvor auch in rechten bis rechtsextremen Kleinparteien, wie den Republikanern, dem Bund freier Bürger und der Partei Die Freiheit, manche in lokalen Wählergemeinschaften aktiv. Unter der Führung des ehemaligen Landesvorsitzenden Alexander Gauland entwickelte sich die AfD in Brandenburg zu einem in weiten Teilen rechtsextremen Landesverband. Dies schließt nicht aus, dass sich vereinzelt Positionen in der Partei gehalten haben, für die diese Einschätzung nicht gilt.
Momentan scheinen diese Kräfte jedoch nicht Willens oder in der Lage zu sein, den Rechtsaußenkurs der Partei zu korrigieren. Anfang 2022 ging der brandenburgische Verfassungsschutz davon aus, dass von den zu diesem Zeitpunkt 1.400 AfD-Mitgliedern in Brandenburg etwa jedes zweite rechtsextrem ist.2 Ehemalige AfD-Mitglieder geben in ihren Austrittserklärungen häufig die Radikalisierung, fehlende Abgrenzung gegenüber Rechtsextremen und das innerparteiliche Klima als Gründe für ihren Austritt aus der Partei an.
Schnelle Radikalisierung
Nachdem die Landesverbände Sachsen, Thüringen und Brandenburg 2014 mit ihrem scharfen Rechtskurs in den Landtagswahlen Ergebnisse von teilweise über zehn Prozent erreicht hatten, brachten sich im innerparteilichen Streit um den politischen Kurs der Bundespartei die nationalkonservativen und radikalnationalistischen Kräfte immer entschiedener in Stellung. Im Sommer 2015 konnten sie die eher wirtschaftsliberalen Mitglieder um den damaligen Bundessprecher Bernd Lucke weitgehend aus der AfD drängen.
Diese Entwicklung ging am Brandenburger Landesverband fast spurlos vorbei. Früh hatte sich die überwiegende Mehrheit des hiesigen Parteipersonals den Positionen der rechtsextremen innerparteilichen Sammlungsbewegung „Der Flügel“ um den Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke angeschlossen. Im Zuge der Krise der Flüchtlingspolitik 2015/2016 radikalisierte sich der Landesverband zusätzlich. Nach seiner Wahl zum Landesvorsitzenden im April 2017 verkündete Andreas Kalbitz, die AfD Brandenburg zur „sozialen Heimatpartei“ machen zu wollen. Damit griff er nicht nur den Namenszusatz, sondern, wie der Politikwissenschaftler Gideon Botsch betont, auch „das Selbstverständnis“ der NPD auf.
Wahlergebnisse
2013 scheiterte die AfD bei der Bundestagswahl nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Bei den brandenburgweiten Kommunalwahlen im Mai 2014 erhielt sie 3,9 Prozent und damit 39 Sitze in den Kreistagen und den Stadtverordnetenversammlungen der kreisfreien Städte. Mit 12,2 Prozent der Zweitstimmen erzielte sie in Brandenburg im September 2014 das bis dahin beste Ergebnis der AfD bei einer Landtagswahl. Von den insgesamt 120.000 Zweitstimmen hatte ein Drittel der AfD-Wähler*innen zuvor bei der Landtagswahl 2009 die rechtsextreme DVU oder NPD gewählt.
Im Zuge der Bundestagswahl 2017 avancierte sie mit landesweit 20,2 Prozent der Zweitstimmen zur zweitstärksten Partei in Brandenburg. Als Teil einer Doppelspitze führte Alexander Gauland die Bundestagsfraktion von 2017 bis 2021 an und wurde auf dem 10. Bundesparteitag zum Ehrenvorsitzenden der AfD gewählt.
Bei der Landtagswahl 2019 konnte die AfD ihr Ergebnis nahezu verdoppeln und ist seitdem mit 23,5 Prozent zweitstärkste Fraktion im Brandenburger Landtag und verfügte über 23 Sitze. Im November 2023 kam ein 24 Sitz durch Philip Zeschmann hinzu, der von den Freien Wählern zur AfD-Fraktion wechselte. Ihre kommunalen Sitze konnte die AfD ebenfalls 2019 mit 153 Mandaten nahezu vervierfachen.
Keine konstruktive parlamentarische Opposition
Von Beginn an inszenierte sich die AfD in Brandenburg als Anti-Establishment-Partei. Ihre Politik ist eine Mischung aus rechter Identitätspolitik, populistischen Lösungsangeboten, dem Schüren von Ängsten, Ressentiments und apokalyptischen Untergangsszenarien bei gleichzeitiger Verächtlichmachung ihrer politischen Gegner*innen bzw. des demokratischen Systems. Zu den Schwerpunktthemen der AfD-Fraktion im Brandenburger Landesparlament gehören sowohl Forderungen nach einer noch restriktiveren Asyl- und Zuwanderungspolitik, nach drastischen Gesetzen und harten polizeilichen Maßnahmen in Fragen der Inneren Sicherheit als auch die Stimmungsmache gegen Geflüchtete, „den Islam“ und Muslime.
Die AfD ist die einzige Partei im Brandenburger Landtag, die den menschengemachten Klimawandel infrage stellt. Im Mai 2019 formulierte Alexander Gauland: „Die Kritik an der sogenannten Klimaschutzpolitik ist nach dem Euro und der Zuwanderung das dritte große Thema für die AfD.“ Besonders der Kampf gegen die Energiewende, die von der AfD häufig als „Klimahysterie“ verschrien wird, ist zu einem Markenzeichen der Partei geworden.
Zunehmend rückt auch das Thema Genderpolitik in den Fokus der AfD. In ihrem Landtagswahlprogramm 2019 schreibt sie bereits von „Genderwahn“ und versuchte in der vergangenen Legislaturperiode mit einem Antrag die Förderung queerer Gruppen im Land Brandenburg gänzlich streichen zu lassen. Im März 2024 startete die AfD Brandenburg eine Initiative mit dem Ziel in Schreiben von Behörden, öffentlichen Dienststellen und in Bildungseinrichtungen wie Schulen und Hochschulen Gender-Sterne, Unterstriche oder Binnen-Is zu verbieten.
Die politische Themensetzung orientiert sich nicht selten an den wechselnden Schwerpunkten der tagespolitischen Debatten. Ähnlich wie in anderen Landesverbänden waren die Positionen vor allem in der Corona-Krise zum Teil sehr widersprüchlich. Wurde anfangs ein härteres sicherheitspolitisches Vorgehen gefordert, schwenkten große Teile des Landesverbands um und schlossen sich den Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie an. Die Fraktion verfolgt einen Kurs der Fundamentalopposition. Hierzu nutzen Abgeordnete der AfD das Plenum des Landestages bevorzugt als Plattform für Parteipropaganda und rhetorische Provokationen. In den für die Landespolitik wichtigen Ausschüssen halten sie sich jedoch merklich zurück und arbeiten wenig mit.
Rechte Sammlungsbewegung
Zu Beginn bemühte sich die Parteiführung noch um eine Abgrenzung zum Rechtsextremismus. Dies hat sich inzwischen deutlich geändert. Die Verfestigung der AfD eröffnete großen Raum für verschiedene Organisationen der extremen Rechten. Der AfD-Landesvorstand pflegt vielfältige Verbindungen zu Vereinigungen der sogenannten Neuen Rechten, etwa zum Institut für Staatspolitik (IfS). Akteur*innen dieser privaten Einrichtung, die als Denkfabrik des neurechten politischen Milieus gilt, nahmen an Veranstaltungen der AfD teil und umgekehrt. Erik Lehnert, der seit 2008 als Geschäftsführer des IfS tätig ist, arbeitet als Referent für die AfD-Landtagsfraktion.
Darüber hinaus kooperieren Parteimitglieder in Brandenburg mit dem rechtsextremen Verein Ein Prozent und mehrere Brandenburger Bundestags- und Landtagsabgeordnete beschäftigten und beschäftigen ehemalige Aktivisten der rechtsextremen Identitären Bewegung, obwohl die Vereinigung auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht. Außerdem unterhält die AfD enge Beziehungen zu rechten und rechtsextremen Zeitungen und Zeitschriften wie Compact, Junge Freiheit und Zuerst. Neben den sozialen Medien werden besonders diese Periodika zur Außendarstellung genutzt. Mit zum Teil mehrseitigen Interviews bieten sie der AfD ein Forum und Wahlkampfunterstützung.
Die AfD bündelt unterschiedliche politische Milieus rechts der demokratischen Parteien. Ihre bisherigen Erfolge verdankt sie auch ihrem Charakter als rechte Sammlungsbewegung. Unter dem Schlagwort Bürgerprotest hat der Landesverband früh den Anschluss an nationalistisch-rassistische Protestformationen gesucht. Nicht nur in Brandenburg reichen diese von organisationsungebundenen Personen über rechte Fußballszenen bis hin zu sogenannten Reichsbürgern. Für die rechte Protestbewegung ist die AfD der parteipolitische Arm geworden.
Asylfeindlichen Initiativen diente sich die Partei etwa durch Redebeiträge auf den Demonstrationen an und richtete mehrfach selbst entsprechende Straßenaktionen aus. Auf den Kundgebungen des Vereins Zukunft Heimat in Cottbus sind Repräsentant*innen des Landesverbandes regelmäßig als Redner*innen zu Gast. Partei und Verein sind miteinander vernetzt. Mit Hans-Christoph Berndt, der lange Zeit Vorsitzender des rechtsextremen Vereins war und zeitgleich Fraktionsvorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag ist, gibt es auch personelle Überschneidungen. Dass Mitglieder der Brandenburger AfD dabei auch mit Neonazis und anderen Rechtsextremen demonstrieren, wird von der Partei mindestens billigend in Kauf genommen.