„Liebe Freunde und Kameraden, mehr als neun Monate sind vergangen – doch die Schande von Halbe und Spremberg ist nicht vergessen“, hieß es Mitte Oktober 2025 im Telegram-Kanal „Waldfriedhof Halbe“. Der Kanal zählt fast 800 Mitglieder und trägt den Namen jener Kriegsgräberstätte südlich von Berlin, die eine der größten in ganz Deutschland ist und seit Ende der 1990er Jahre immer wieder Schauplatz neonazistischer Gedenkaktionen wurde. Über den Messengerdienst werden in unregelmäßigen Abständen Informationen rund um das Gedenken an deutsche Opfer der beiden Weltkriege geteilt.
Der Anlass für den zitierten Post lag zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits länger zurück: Auf Initiative des Telegram-Kanals und einer Facebook-Seite namens „Deutschlands Kriege und seine Soldaten 1813–1945“ wurden kurz vor Weihnachten 2024 an verschiedenen Orten in Brandenburg Kerzen niedergelegt – auf den Waldfriedhöfen in Halbe und Spremberg sowie auf weiteren Kriegsgräberstätten, etwa in Finsterwalde.
Der Zeitpunkt fiel auf die Wintersonnenwende, die wie Sommersonnenwende für Rechtsextreme ein beliebter Anlass für Veranstaltungen und Aktionen ist. Allein in Halbe sollen über 6.000 Kerzen aufgestellt worden sein. Sie wurden jedoch schon nach kurzer Zeit entfernt. Die Polizei ging zunächst davon aus, dass es sich um eine Aktion im Zusammenhang mit rechtsextremen Heldengedenken-Veranstaltungen handelte, zu denen die neonazistische Partei Die Heimat aufgerufen hatte. Deshalb wurde die Kerzenaktion als rechtsextrem und geschichtsrevisionistisch eingestuft. Die Initiator*innen waren empört, wiesen jede politische Absicht zurück und betonten, sich nicht vereinnahmen lassen zu wollen. Daraufhin entschuldigte sich die Polizei.
Nur eine unpolitische Aktion?
Zwar ist das Gedenken an deutsche Tote der beiden Weltkriege nicht automatisch rechtsextrem. Im vorliegenden Fall bleibt jedoch fraglich, ob die Aktionen tatsächlich so unpolitisch sind, wie die Initiator*innen behaupten. Das Webprojekt „Geschichte statt Mythen“ etwa weist auch auf ein Bild einer nationalsozialistischen Zeitung mit stilisiertem Hakenkreuz hin, das in dem Telegramkanal veröffentlicht wurde. Im Gespräch mit dem Aktionsbündnis Brandenburg erklärt auch Karsten Kläge vom Mobilen Beratungsteam des Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung, dass im Telegram-Kanal in der Vergangenheit Texte eines NS-Dichters verbreitet wurden.
„Die Selbstdarstellung als unpolitisch war von vornherein nicht glaubwürdig“, betont auch seine Kollegin Andrea Nienhuisen. Das lege ein Blick in die entsprechende Facebook-Gruppe nahe: Dort seien in der Vergangenheit bekannte Akteure der extremen Rechten aktiv gewesen, darunter Ralph Tegethoff – einst aktives Mitglied der NPD in Nordrhein-Westfalen und 2004 Hauptredner bei der neonazistischen Gedenkveranstaltung in Halbe.
Auch neuere Aktivitäten im Telegram-Kanal werfen Zweifel an einer unpolitischen Ausrichtung auf. Für Dezember 2025 wird eine Veranstaltung mit Henrik Schulze beworben, der laut Nienhuisen in der Vergangenheit ebenfalls als Redner bei rechtsextremen Veranstaltungen aufgefallen ist und zudem eine gewisse Nähe zu verschwörungsideologischen Gruppierungen zeigt. Ein von ihm mitgegründeter Jüterboger Bürgerstammtisch wird vom Verfassungsschutz beobachtet, berichtete im Sommer die Märkische Allgemeine Zeitung.
Tradition des Heldengedenkens
Gedenkaktionen wie in Halbe knüpfen ideologisch an das Heldengedenken an, dessen Ursprung im Nationalsozialismus liegt: Opfer deutscher Gewaltverbrechen werden ausgeblendet, deutsche Soldaten dagegen in ein positives Licht gerückt. Während des Nationalsozialismus wurde der Volkstrauertag in „Heldengedenktag“ umbenannt, um gefallene Soldaten des Ersten Weltkriegs als „Helden“ darzustellen.
Nach dem Ende des Nationalsozialismus bemühten sich Rechtsextreme, diese Form des Gedenkens auch auf die gefallenen deutschen Soldaten des Zweiten Weltkrieges auszuweiten. Bis heute finden – mal stärker, mal schwächer ausgeprägt und mit regionalen Schwerpunkten – neonazistische Aufmärsche zum Thema statt, häufig auch an Geburts- oder Todestagen einzelner NS-Größen wie Rudolf Heß.
Die Kerzenaktionen in Halbe, Spremberg und anderen Orten wirken nach außen harmlos, schließen inhaltlich jedoch an jene Veranstaltungen an. Ihnen zugrunde liegt ein Opfermythos, der deutsche Soldaten diffus zu Opfern von Krieg und Gewalt erklärt. Dass Deutschland den Zweiten Weltkrieg als Angriffs- und Vernichtungskrieg begonnen hat und Soldaten der Wehrmacht tiefgreifend darin verwickelt waren, wird ausgeblendet. Damit werden die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlost. Diese Erzählung ist identitätsstiftend für die extreme Rechte, die zum Teil auch die Verbrechen der Nazis befürwortet. Zugleich ist diese Opfererzählung durch ihre Verharmlosung anschlussfähig für jene Teile der Gesellschaft, die sich nicht mit Täterschaft beispielsweise in der eigenen Familie oder auch in Deutschland allgemein auseinandersetzen wollen.
Gedenken als Einfallstor für die extreme Rechte
Oft finden solche Aktionen im Zusammenhang mit dem Volkstrauertag statt, den Neonazis und andere Rechtsextreme im Sinne des nationalsozialistischen Heldengedenkens umdeuten und für ihre Zwecke instrumentalisieren wollen. Auch Halbe wurde in den 1990er und den 2000er Jahren zu diesem Anlass jährlich zum Ziel für Tausende Rechtsextreme.
Dem stellten sich im Jahr 2006 schließlich über 8.000 Menschen entgegen. In der Folge wurde das Versammlungsgesetz geändert, dies verhindert seitdem weitere Aufmärsche. Das lokale Aktionsbündnis gegen Heldengedenken und Naziaufmärsche in Halbe ist bis heute aktiv.
Für die rechtsextreme AfD ist der Volkstrauertag von großer Bedeutung. Vielerorts legten brandenburgische Parteivertreter*innen auch in diesem Jahr Kränze nieder oder beteiligten sich an Gedenkveranstaltungen. Der Landtagsabgeordnete Fabian Jank bekannte sich bei dieser Gelegenheit bei Instagram zu der im Nationalsozialismus populären und später häufig von Neonazis genutzten Parole „Ewig währt der Toten Tatenruhm“. Erinnerungspolitik ein zentrales Thema für die AfD. Auf Landes- und Bundesebene fordert die Partei seit Jahren eine stärkere Erinnerung an deutsche Opfer des Zweiten Weltkriegs und die Errichtung einer Gedenkstätte für Vertriebene, auch in Brandenburg. Der Landtagsabgeordnete Dominik Kaufner treibt dieses Anliegen seit seinem Einzug in das Brandenburger Parlament 2024 voran. In einem Beitrag für die neurechte Zeitschrift Sezession beklagte er anlässlich des Volkstrauertags 2024 eine angebliche „NS-Besessenheit“ in Deutschland und kritisierte, Gedenken sei nur „im Büßerhemd“ möglich. Zugleich betont er, er empfinde es als Affront, dass den eigenen Groß- und Urgroßvätern nicht in gleicher Weise gedacht werde wie den Opfern „der anderen Seite“.
Während die AfD behauptet, in Deutschland richte sich der Blick zu stark auf die negativen Punkte der Geschichte, arbeitet sie selbst daran, das Gedenken und damit die historische Deutung umzulenken – weg von einem vermeintlichen „Schuldkult“, hin zu einer positiv aufgeladenen nationalen Erzählung, in der deutsche Soldaten als Helden und als Opfer erscheinen.
Neue Aktionen geplant
Auch die Ereignisse in Halbe zum vergangenen Jahreswechsel nutzte die AfD schnell für ihre Zwecke. Prominente Parteivertreter*innen reisten am Neujahrstag zum Waldfriedhof, legten Kerzen oder Kränze nieder und inszenierten das Thema gezielt für die Öffentlichkeit. Einige kommentierten die Vorgänge in den sozialen Medien und bezeichneten die Vorfälle wie die Betreiber*innen des Telegram-Kanals teilweise als „Schande“ oder forderten Konsequenzen für den Polizeieinsatz.
Ob die Partei auch in diesem Winter vor Ort sein wird, ist derzeit unklar. Fest steht jedoch, dass in dem Telegram-Kanal bereits neue Aktionen angekündigt wurden: Auch zum Jahresende 2025 sollen Kerzen aufgestellt werden. Für diese Vorhaben werden seit Wochen Spenden gesammelt, nach Angaben der Initiator*innen waren es Mitte November bereits über 9.000 Euro. Mittels dieses Geldes wolle man den „Gefallenen“ in Halbe „ein Licht geben“, aber auch an anderen Orten wie im brandenburgischen Spremberg Präsenz zeigen. In Halbe dürfte das jedoch schwierig werden. Im Dezember 2025 änderte das zugehörige Amt Schenkenländchen die Satzung des Friedhofs. Kerzen und Kränze dürfen nur noch an zwei zentralen Stellen abgelegt werden, auf den Gräbern nur noch von Angehörigen.
Sebastian Beer