© Aktionsbündnis Brandenburg
Es geht um Rassismus
Seit November 2022 trägt das Aktionsbündnis Brandenburg einen neuen Namen. Der Umbenennung ging eine Debatte voraus.
25 Jahre nach seiner Gründung änderte das Aktionsbündnis Brandenburg seinen Namen zu „Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus“. Das Bündnis mit fast 90 Mitgliedsorganisationen verband den Beschluss mit einer Selbstverpflichtung, die Bekämpfung rassistischer Diskriminierung stärker in den Mittelpunkt zu rücken: „Als Aktionsbündnis stellen wir uns solidarisch an die Seite jener, die von Rassismus betroffen sind“, sagte der Vorsitzende Thomas Wisch, der die Evangelische Kirche im Aktionsbündnis vertritt. „Sie sind keine Fremden, sondern sind im Land aufgewachsen, leben schon seit Jahrzehnten hier oder wollen als Zugewanderte Teil unserer Nachbarschaft und unserer Gesellschaft werden. Wer Menschen auf diese Weise ausgrenzt, greift unser demokratisches Miteinander an.“
Die Diskussion war bereits seit einiger Zeit in der Mitgliedschaft geführt worden. Rassismus ist ein Kernelement rechtsextremer Einstellungen, was jedoch keineswegs bedeutet, dass nur Neonazis und Parteien am rechten Rand rassistisch sind. Rassismus kann sich auch im Alltag äußern, und es ist wichtig, die eigene Wahrnehmung zu überprüfen. Dies verdeutlichte das Aktionsbündnis auch in dem 2020 erschienenen Handbuch Zivilgesellschaft. „Rassist*innen konstruieren ‚Rassen‘, das heißt, sie schreiben Menschen aufgrund vermeintlicher oder tatsächlicher körperlicher Merkmale Eigenschaften zu und behaupten, Mitglieder der so bestimmten Gruppierungen seien angeblich von Natur aus anders – ob nun gesellig oder musikalisch, kriminell oder faul. Wird ein Gegensatz zwischen dieser angeblichen ‚Rasse‘ und der eigenen Gruppe aufgemacht und werden andere Menschen dabei abgewertet, ist das Rassismus.“
Bevor am 15. November 2022 in Potsdam schließlich ohne Gegenstimmen der Beschluss zur Umbenennung gefasst wurde, fand eine engagierte Aussprache unter den Mitgliedern statt, bei der insbesondere über die Bedeutungen von „Rassismus“ und „Fremdenfeindlichkeit“ diskutiert wurde – der letzte Begriff war bis dahin im Namen des Aktionsbündnisses genutzt worden. Drei Debattenbeiträge sind im Folgenden dokumentiert.
„Wir sollten keine Sprache verwenden, die unsere Gesellschaft spaltet.“
Kirstin Neumann für den Flüchtlingsrat Brandenburg
Uns allen ist klar, wie sehr Debatten um die bewusste Verwendung von Sprache die Gemüter erhitzen können. Gerade deshalb möchte ich hier zur Wirkmächtigkeit von Sprache sprechen, und zwar vor dem Hintergrund der Erfahrung aus meiner Arbeit beim Flüchtlingsrat Brandenburg.
Erinnern wir uns an die 1990er-Jahre. In diesem Jahr war der 25. Jahrestag der Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Rostock-Lichtenhagen, aber auch in Cottbus-Sachsendorf. In den 1990er-Jahren waren flüchtlingsfeindliche Diskurse in der etablierten Politik gang und gäbe, ganz selbstverständlich wurde damals noch von „Asylanten“ gesprochen. Einige CDU-Politiker*innen nutzten sogar standardisierte Argumentationsleitfäden, um die politische Kampagne gegen die Aufnahme von Asylsuchenden anzuheizen. Schon damals bot ihre Sprache den Nährboden für die Ressentiments gegen Geflüchtete, die sich später in Gewalt niederschlugen. Die Täter*innen von damals fühlten sich durch die politische Instrumentalisierung der Asylfrage – also durch immer wieder geäußerte Ablehnung gegenüber Geflüchteten – in ihrer Gewalt legitimiert.
Leider sind solche flüchtlingsfeindliche Diskurse aktueller denn je. Erst vor kurzem befeuerte Brandenburgs Innenminister Stübgen ein rechtes Narrativ, indem er Schutzsuchende als „Asyltouristen“ bezeichnete. Der scheidende Oberbürgermeister Holger Kelch sagte mit Bezug zur Aufnahme von Geflüchteten wörtlich: „Cottbus hisst die weiße Fahne.“ Die Opferperspektive schrieb dazu: „Gegenüber der Öffentlichkeit erzeugt er so das Bild einer durch Migration überforderten und von Geflüchteten belagerten Stadt. Die Verwendung von Kriegsmetaphern im Kontext von Flucht und Migration schafft Anknüpfungspunkte für rechte Denkmuster. Die regionale rechte Szene wird die Äußerungen von Kelch dankbar aufnehmen und für ihre Agitation verwenden.“ Im laufenden Jahr 2022 zählt die Beratungsstelle bereits elf rassistisch motivierte Gewaltdelikte allein im Stadtgebiet Cottbus.
Das sind Beispiele für die Wirkmächtigkeit der Sprache etablierter Politiker*innen. Sprache beeinflusst unser Denken und Handeln. Deshalb haben wir eine Verantwortung. Auch wir als Zivilgesellschaft sind wirkmächtig mit unserer Sprache und sollten daher verantwortungsvoll damit umgehen.
Und nun zum Begriff der Fremdenfeindlichkeit: Als Flüchtlingsrat bekommen wir beinahe täglich mit, wie Geflüchtete Alltagsrassismus und vor allem strukturellen Rassismus erfahren. Das betrifft auch viele Menschen, die seit vielen Jahren in Brandenburg leben, die hier arbeiten, Kinder in die Kitas schicken, deutsch sprechen … Dennoch erfahren sie viel Ablehnung. Wenn ich zu ihnen sage: Das, was Sie dort erleben, das ist Fremdenfeindlichkeit – dann streue ich Salz in die Wunde, denn sie fühlen sich dann wieder als Fremde, obwohl sie keine sind. Das bestärkt eine Spaltung der Gesellschaft in ein vermeintliches Wir und die Anderen. Dann grenzt Sprache aus. Dieses Denken sollten wir als Aktionsbündnis nicht verfestigen und in Sprache manifestieren.
„Rassismus durchzieht die Strukturen unserer Gesellschaft“
Robin Herz für das Aktionsbündnis Weltoffenes Werder
Ich bitte um eure Unterstützung für die Umbenennung des Aktionsbündnisses. Und zwar, weil Rassismus der richtige Begriff für das ist, wogegen wir uns engagieren. Der Begriff Fremdenfeindlichkeit greift zu kurz und ist nicht länger zeitgemäß.
Warum? Die Diskriminierung und auch Gewalt, gegen die wir uns stark machen, richtet sich nicht gegen „Fremde“ oder „Ausländer*innen“. Sie trifft in der Regel nicht die weiße Holländerin oder den weißen Neuseeländer, sehr wohl aber Schwarze Menschen und People of Colour, die hier in Potsdam geboren und aufgewachsen sind – sie trifft Menschen, die aufgrund ihres Aussehens, einer vermeintlichen kulturellen oder religiösen Zugehörigkeit, auf Basis rassistischer Zuschreibungen, abgewertet werden.
Die Ideologie des Rassismus geht zurück auf die Erfindung menschlicher Rassen im frühen 17. Jahrhundert und diente der Rechtfertigung des Sklavenhandels und des Kolonialismus. Während die Aufklärung und der Humanismus begannen, Europa zu prägen, diente der Rassismus dazu zu legitimieren, warum weiße Europäer*innen Menschen auf anderen Kontinenten enteigneten, versklavten und ermordeten. Im Zentrum der Ideologie des Rassismus stand die Erfindung von körperlichen Unterschieden von Menschen, allen voran die Hautfarbe.
Nach der Erfahrung der NS-Verbrechen war der Rassismus politisch diskreditiert. Auch ist es Konsens in den Wissenschaften, dass es bei Menschen, anders als in der Tier- und Pflanzenwelt, keine „Rassen“ gibt. Nichtsdestotrotz ist die Ideologie des Rassismus, also die Kategorisierung von Menschen nach äußerlichen oder vermeintlich kulturellen Merkmalen, weiterhin äußerst wirkmächtig.
Heute wird der biologisch argumentierende Rassismus ersetzt durch einen „kulturell“ begründeten. So verweisen Akteure der Neuen Rechten nicht mehr auf körperliche Unterschiede, sondern führen vermeintlich kulturelle Unterschiede wie Religion an, um bestimmte Gruppen zu konstruieren und diese abzuwerten. Dieser Ansatz – Gruppen wie die Identitäre Bewegung propagieren ihn als „Ethnopluralismus“ – kommt zwar weniger plump daher als der Versuch, Menschen nach Schädelformen einzuteilen. Die Absicht bleibt aber dieselbe: Anhand bestehender oder eingebildeter Unterschiede werden Gruppen als „ethnisch“ oder „kulturell“ anders kategorisiert. Diesen Gruppen werden Eigenschaften zugeschrieben, zumeist negative, und dann werden sie im Vergleich zu einem „Wir“, das als „normal“ und selbstverständlich gilt, abgewertet. Die Abwertung anderer dient der Aufwertung der eigenen Gruppe und der Legitimation ihrer Privilegien.
Der Begriff Fremdenfeindlichkeit suggeriert, dass es um Feindseligkeit oder Hass geht. Doch Rassismus wirkt nicht nur durch explizit rassistisches Denken und Handeln einzelner Menschen oder Gruppen, sondern hat sich fest eingeschrieben, auch in die Strukturen und Institutionen unserer Gesellschaft. So gibt es zahlreiche Untersuchungen, die rassistische Diskriminierung etwa in der Schule, auf dem Wohnungsmarkt oder bei Bewerbungsgesprächen belegen. Die Ermittlungsfehler beim NSU-Komplex, die Praxis des Racial Profiling und Fälle von Polizeigewalt haben einen institutionellem Rassismus unter anderem bei Polizeibehörden zum Thema gemacht. Erinnern wir uns an die „Black Lives Matter“-Bewegung.
Als wir 2017 das Aktionsbündnis Weltoffenes Werder gründeten, haben wir als Slogan für unsere Arbeit „Für ein weltoffenes Werder ohne Rassismus“ gewählt. Wir stellen uns gegen den alltäglichen und offenen Rassismus, den Menschen in Brandenburg immer wieder erleben. Wir stellen uns ebenso gegen die strukturellen Benachteiligungen von Menschen, wenn sie aufgrund rassistischer Zuschreibungen keine Wohnung finden, schlechtere Voraussetzungen auf eine gute Schulbildung haben oder Gefahr laufen, durch staatliche Institutionen benachteiligt zu werden.
Wenn wir also den Namen unseres Bündnisses ändern in „Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus“, so präzisieren wir, wofür wir uns einsetzen, verwenden einen Begriff, der sowohl in der Wissenschaft als auch in Medien und bei politisch Aktiven verwendet wird, und tragen so der praktischen Arbeit des Aktionsbündnisses Rechnung.
„Wir sind keine Fremden“
Birgit Gericke für die Berlin-Brandenburgische Auslandsgesellschaft verliest ein Statement von Eric Noël Mbiakeu für open dreams Brandenburg
Liebe Freund*innen von hier und anderswo,
wir von open dreams Brandenburg sind sehr engagiert im Kampf gegen Rassismus und trotz mehrerer Jahre harter Arbeit in der Stadt Brandenburg auch Opfer dieses Übels, das unsere Gesellschaft untergräbt. Wir wollen unsere Wut über die einseitige Politik zum Ausdruck bringen, die nur einen Teil der Bevölkerung einbezieht und nicht alle Personen, die Teil dieser Gesellschaft sind. Wir erleben dieses gesellschaftliche Ungleichgewicht und die täglichen Krisen, welche momentan die Nachrichten beherrschen – vor allem in Bezug auf die Situation der Geflüchteten und Migrant*innen und den politischen Umgang damit. Die derzeitige Integrationspolitik ist so nur möglich, weil 9,7 Millionen Menschen der hier lebenden Bevölkerung im Wahlkampf und in der politischen Umsetzung nicht berücksichtigt werden. Denn sie haben kein Wahlrecht. Und so kommt es zum stetigen Anstieg rechter Positionen, rechter Parteien und einer kontinuierlichen Bestärkung der extremen Rechten. Wir sind die Stimmlosen!
Es ist zu beachten, dass jeder Mensch mit Migrationshintergrund und/oder Fluchterfahrung in unserer Region ein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft mit einem hohen multikulturellen Potenzial ist. Dies stellt eine Bereicherung für diese Region und das Land dar. Viele Menschen werden hierzulande ausgegrenzt, weil bestimmte Realitäten nicht akzeptiert werden: Wir sind keine Fremden! Wir leben hier teilweise seit Jahren oder sind sogar hier geboren. Aber selbst wenn wir versuchen, der gewünschten Normalität, die nicht mehr als „fremd“ empfunden wird, zu entsprechen, selbst wenn wir versuchen, uns so Akzeptanz und Toleranz zu verdienen, gibt es immer ein Hindernis: unser Aussehen, unsere Religion, unsere Sprache usw. Das ist Rassismus! Wir sind keine Fremden!
Fremdenfeindlichkeit ist ein deutsches Wort, das international nicht genutzt wird, und von den Personen, die darunter leiden, nicht gekannt wird. Die Übersetzung Xenophobie hat die Angst im Wort. Es ist aber keine Angst. Es ist Ablehnung und Abwertung von Personen, die als fremd gesehen werden. Und das ist Rassismus! Die Ablehnung oder Nichtberücksichtigung von Menschen bestimmter Herkunft, Kultur, Religion, sexueller Orientierung ist schlichtweg ein Beweis für Rassismus. Rassismus ist die Wurzel. Ihn gilt es zu benennen und zu bekämpfen! Ihr wollt uns miteinbeziehen in eure Arbeit, uns zum Teil eurer Zivilgesellschaft machen, mit uns auf Augenhöhe handeln. Dann müssen wir sehen und fühlen, dass ihr euch mit Rassismus auseinandersetzt, auch eurem eigenen – persönlich und auf Organisationsebene. Dazu müsst ihr ihn benennen, unsere Worte nutzen, nicht die Worte der Täter.
Die Hoffnung auf einen Rechtsstaat, in dem jede Person berücksichtigt wird und jede Stimme zählt, ist ein Traum, vor allem für diejenigen, die an die Demokratie glauben. Diesen Traum können wir nur erreichen, wenn wir miteinander reden. Language should not be a border for communication! Don’t let language be a border!