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Gedenken an Amadeu Antonio
Vor 30 Jahren, am 6. Dezember 1990, starb Amadeu Antonio. Er war eines der ersten Todesopfer rassistischer Gewalt im vereinten Deutschland.
30 Jahre nach seinem Tod lebt die Erinnerung an Amadeu Antonio fort. Zu seinem Todestag versammelten sich am 6. Dezember 2020 rund 300 Menschen an seinem Gedenkstein in Eberswalde. An diesem Ort wurde Amadeu Antonio am Abend des 24. November 1990 von einer Gruppe Neonazis so stark angegriffen und verletzt, dass er nie wieder das Bewusstsein erlangte.
Die Erinnerung an Amadeu Antonio ist zugleich die Erinnerung an rechte und rassistische Gewalt der 1990er Jahre – die sogenannten Baseballschlägerjahre. Und die Erinnerung an ihn ist eine Mahnung: Noch heute sind rassistische Übergriffe, aber auch Alltagsrassismus und struktureller Rassismus schwerwiegende Probleme in unserer Gesellschaft, die wir gemeinsam lösen müssen.
Das diesjährige Gedenken stand durch die Covid-19-Pandemie vor besonderen Herausforderungen. Darum gab es in den Tagen zwischen dem 25. November und dem 6. Dezember viele kleine Gedenkaktionen in den Sozialen Medien. Auf ihrer digitalen Gedenkwand sammelte die Kampagne Light me Amadeu weit über 1.000 Posts. Viele Eberswalder_innen legten in diesen Tagen Blumen an den Gedenkort. Bei der Gedenkveranstaltung, die unter den geltenden Hygienemaßgaben stattfand, sprachen Landrat Daniel Kurth, der Eberswalder Kulturdezernent Jan König und Brandenburgs Integrationsbeauftragte Doris Lemmermeier.
Wann gibt es in Eberswalde endlich eine „Amadeu-Antonio-Straße“?
Im Zentrum der Gedenkveranstaltung standen jedoch konkrete Forderungen. Viele trugen an diesem Tag blaue Schilder mit der Aufschrift „Amadeu-Antonio-Straße“. Denn seit Jahren fordern Engagierte, einen Teil der Eberswalder Straße umzubenennen. Bisher ist jedoch nichts passiert. „Wünschen würde ich mir, dass es keine weiteren zehn Jahre dauert, bis wir über eine Amadeu-Antonio-Straße zu diesem Gedenkstein laufen können“, sagte die Integrationsbeauftragte Doris Lemmermeier während der Veranstaltung.
Die Straßenumbenennung ist das erste der Fünf Anliegen der Kampagne Light me Amadeu. Darüber hinaus fordert die Initiative: eine besser sichtbare Mahn- und Gedenktafel für Amadeu Antonio; eine Informationstafel am ehemaligen „Hüttengasthof“; eine stärkere Thematisierung von Rassismus im Eberswalder Bürgerbildungszentrum; und stärkere Unterstützung der Zivilgesellschaft in ihrem Kampf gegen Alltagsrassismus durch mehr Personal, mehr Koordination und mehr Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen sowie der Selbstorganisation von eingewanderten Menschen.
Zuvor verlasen Augusto Jone Munjunga (Vorsitzender des Afrikanischen Kulturvereins Palanca) und Marieta Böttger (Vorsitzende der Bürgerstiftung Barnim Uckermark) das Gedicht „Bruder Amadeu“. Dieses Gedicht und auch die fünf Anliegen wurden später bei einer Online-Gedenkveranstaltung wiederholt. Augusto Jone Munjunga sprach hier über seine Erfahrungen als Vertragsarbeiter in der damaligen DDR und darüber, wie er Amadeu Antonio bei der Arbeit im Schlacht- und Verarbeitungskombinat Eberswalde kennenlernte. Nach dem Ende der DDR blieben nur wenige Vertragsarbeiter_innen in Eberswalde. Die, die blieben, sahen sich konfrontiert mit einem immer stärker werdenden Rassismus: Alleine auf die Straße, zum Einkaufen, in ein Restaurant oder in eine Disko gehen, war unmöglich. Die Angst, sagte Augusto Jone Munjunga, wurde immer schlimmer.
Der „Hüttengasthof“ war der einzige Ort, aus dem die ehemaligen Vertragsarbeiter_innen nicht rausgeworfen wurden. Das war auch am Abend des 24. Novembers so. Augusto Jone Munjunga berichtete von der Jagd durch die Neonazis, von dem Überfall, von dem Nichteingreifen der Polizei, die schon im Voraus davon gewusst hatte, dass Neonazis eine Aktion geplant hatten und vor Ort anwesend war, von dem respektlosen Umgang mit den Betroffenen seitens der Justiz, von den milden Strafen für die rassistischen Täter. Aber er berichtete auch von der Hilfe durch antirassistische Initiativen und afrikanische Freund_innen aus West-Berlin, die nach der Tat den Schutz des Wohnheims der ehemaligen Vertragsarbeiter_innen organisiert haben und davon, wie unglaublich wichtig Solidarität ist.
Wir müssen den Alltagsrassimus bekämpfen und die Isolation der Geflüchteten aufbrechen
Emiliano Chaimite (Dachverband sächsischer Migrantenorganisationen) betonte bei der Online-Gedenkveranstaltung, dass Geschichten wie diese in eine gesamtdeutsche Geschichtsschreibung einfließen müssen. Denn die Geschichte der Vertragsarbeiter_innen und der Migration in der DDR werde bisher nur bruchstückhaft erzählt, für das erlittene Unrecht gebe es bis heute kaum Entschädigungen. Der „Maßnahmenkatalog des Kabinettsausschusses zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus“ benenne zwar in Punkt 88 die „Aufarbeitung der Nicht-Integration von Vertragsarbeitern und anderen Zugewanderten sowie von Rassismus in der DDR und deren langfristige Folgen“. Doch wie dies konkret umgesetzt werden soll, sei bislang offen. Emiliano Chaimite resümierte: „Wir sind müde, immer wieder zu erzählen, jetzt müssen Taten folgen!“
Der Maßnahmenkatalog des Kabinettausschusses wurde auch von anderen Podiumsgästen aufgegriffen, so von Karamba Diaby (MdB) und Hamidou Bouba (Zentralrat der afrikanischen Gemeinde in Deutschland).
Hiwet Baraki und Miraf (Barnim für alle) berichteten davon, dass Alltagsrassismus auch heute noch ein ernstes Problem in Eberswalde sei. Menschen kommunizierten respektlos, People of Colour hätten nicht die gleichen Chancen, eine Ausbildung oder eine Wohnung zu finden. Geflüchtete im Barnim lebten in ständiger Angst vor Abschiebungen, eine Angst, die durch die Bedingungen unter der Corona-Pandemie noch verstärkt werde. Der Landkreis Barnim, forderten sie, müsse endlich Sicherer Hafen werden. Auch Mustafa (Barnim für alle) sprach von rassistischen Zuständen im Barnim. Zudem gebe es zu wenig Kontakt zwischen Geflüchteten und der Zivilgesellschaft. Er wünschte sich Unterstützung, um die Isolation der Geflüchteten aufzubrechen.
Der 6. Dezember 2020 war ein bewegender Tag. Und es war ein Tag, der uns allen zeigte: Es gibt noch sehr viel zu tun, denn: Das Problem heißt Rassismus.