Geflüchtete setzen sich nach ihrer Anerkennung in Deutschland mit Hilfe von professionellen Beratungsstellen und ehrenamtlichen Geflüchteteninitiativen dafür ein, ihre Rechtsansprüche auf Familiennachzug geltend zu machen. Was ist dabei zu beachten und wie können Sie Geflüchtete unterstützen?
Flucht trennt Familien
Meist sind Fluchtwege zu gefährlich, insbesondere für Familien mit Kindern, mitunter reichen die finanzielle Mittel nicht aus, damit die gesamte Familie fliehen kann. In der Folge haben Geflüchtete in Deutschland Schutz gefunden, während der oder die Ehepartner*in, ihre Kinder oder, im Falle minderjähriger Geflüchteter, ihre Eltern und Geschwister noch in Kriegsgebieten ausharren oder auf der Flucht irgendwo gestrandet sind.
In vielen Fällen sind Familien jahrelang voneinander getrennt. Geflüchtete in Deutschland bangen um die Sicherheit ihrer Angehörigen, die vielfach unter sehr schwierigen Bedingungen leben müssen – in Flüchtlingslagern ohne jede Perspektive, zwischen den Fronten im syrischen Bürgerkrieg oder unter dem Taliban-Regime in Afghanistan. Beziehungen zwischen Eheleuten und zwischen Eltern und ihren Kindern können nur über Telefon und Messenger aufrechterhalten werden. Für die Betroffenen sind die lange Trennung und die große Ungewissheit belastend und zermürbend. Die Integration und die Teilhabe in Deutschland sind dadurch ungemein erschwert.
Das Recht auf Familie
Das Recht auf Familie ergibt sich zum einen aus dem Grundgesetz. Artikel 6 stellt Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dieser Artikel gilt für alle Menschen gleichermaßen, also auch für Geflüchtete. Zum anderen bilden die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) eine wichtige Grundlage für das Recht auf Familienzusammenführung. Zugleich sichert die weltweit gültige UN-Kinderrechtskonvention Kindern das Recht auf ein Zusammenleben mit ihren Familien zu. Familien gehören also zusammen.
Daraus folgt, dass Menschen, denen in Deutschland ein Schutzstatus zuerkannt wurde, dem Grundsatz nach einen Anspruch darauf haben, Familienangehörige im Rahmen eines Familiennachzugs zu sich zu holen. Allerdings stehen dem Recht auf Familie mehrere rechtliche und bürokratische Hürden entgegen. Tausende Menschen warten jahrelang darauf, wieder mit ihren Familien vereint zu sein.
Wer hat einen Rechtsanspruch auf Familiennachzug?
Das Recht auf einen „privilegierten Familiennachzug“ haben anerkannte Flüchtlinge (nach der Genfer Flüchtlingskonvention), Asylberechtigte (nach dem Grundgesetz) und Resettlement-Flüchtlinge (Geflüchtete mit einem besonderen Schutzbedarf, die über spezielle UNHCR-Verfahren aufgenommen werden). Sie dürfen ihren Ehepartner bzw. ihre Ehepartnerin und ihre minderjährigen Kinder nachholen. Privilegiert bedeutet in diesem Fall, dass für den Familiennachzug von bestimmten Voraussetzungen (in Bezug auf den Wohnraum und den Lebensunterhalt) abgesehen wird. Wichtig: Der Antrag auf Familiennachzug sollte unbedingt innerhalb von drei Monaten nach der Zuerkennung der Schutzberechtigung gestellt werden, weil ansonsten verschärfte Voraussetzungen gelten.
Trotz des Rechtsanspruchs bestehen vielfältige rechtliche Hürden. So können beispielsweise minderjährige Geflüchtete zwar den Nachzug ihrer Eltern beantragen, nicht aber den ihrer Geschwister. Das führt dazu, dass Eltern vor der unmenschlichen Wahl stehen, entweder bei ihrem Kind in Deutschland zu leben oder gemeinsam mit den anderen Kindern in einem Drittstaat zu bleiben.
Eine Einschränkung ihres Rechtsanspruches erleben außerdem Menschen mit „subsidiärem Schutz“, den zum Beispiel viele Geflüchtete aus dem syrischen Bürgerkrieg besitzen. Der Schutzstatus wurde 2004 vom europäischen Gesetzgeber auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention eingeführt, um Schutzlücken in der Genfer Flüchtlingskonvention zu schließen. Menschen mit diesem Schutzstatus sind eigentlich Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gleichgestellt. In der Praxis wurde der subsidiäre Schutz in Deutschland allerdings eingeschränkt – und das insbesondere bei dem so zentralen Familiennachzug.
So haben subsidiär Schutzberechtigte seit März 2016 nicht mehr den Rechtsanspruch auf eine Familienzusammenführung. Ein Familiennachzug liegt stattdessen im Ermessen der Behörden. Die Zahl der Einreisevisa ist dabei (seit 1. August 2018) auf maximal 1.000 pro Monat gedeckelt. Allerdings wird aufgrund der bürokratischen Hürden nie die mögliche Zahl an Visa erteilt.
Für alle Menschen, die einen Antrag auf Familiennachzug gestellt haben, bestehen neben den rechtlichen auch ganz praktisch-bürokratische Hürden. So müssen Ehegatte oder Ehegattin, Kinder oder Eltern (beim Nachzug zu minderjährigen Kindern) der Antragsberechtigten einen Visumsantrag bei der für sie zuständigen deutschen Auslandsvertretung (Konsulat oder Botschaft) stellen und dort zur Prüfung ihrer Unterlagen persönlich erscheinen. Aber allein die Wartezeit auf einen Termin beträgt zwischen zwölf und 18 Monate. Und auch die Reise zu den Auslandsvertretungen ist oft gefährlich, weil dabei häufig geschlossene Grenzen überquert werden müssen.
Darüber hinaus können behördliche Prüfungen und Forderungen nach nicht beschaffbaren Dokumenten weitere Zeit kosten oder den Familiennachzug sogar unmöglich machen.
Landesaufnahmeprogramm Syrien (2013 – 2023)
In Brandenburg und in einigen weiteren Bundesländern können anerkannte Schutzsuchende Familienangehörige auch über Landesaufnahmeprogramme nach Deutschland holen. Die Familienmitglieder anerkannter Schutzsuchender, die in einem Drittstaat gestrandet sind, erhalten dadurch eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland und können auf einem sicheren Weg und mit Visum einreisen. Die Ausgestaltung dieser Programme – also die Regelungen dazu, welche Personengruppe unter welchen Bedingungen ein Visum und anschließend eine Aufenthaltserlaubnis erhalten kann – ist je nach Bundesland unterschiedlich. So liegt auch nicht bei allen Programmen der Fokus auf Familienangehörigen. Gemeinsam ist den Landesaufnahmeprogrammen, dass sie darauf ausgelegt sind, die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Menschen zu ermöglichen.
In Brandenburg wurde das Landesaufnahmeprogramm Syrien 2013 gestartet. Im Oktober 2023 teilte das brandenburgische Innenministerium mit, dass das Programm Ende 2023 auslaufen wird. Der Flüchtlingsrat Brandenburg und Pro Asyl kritisierten die Aussetzung als „völlig unverständlich“. Diese Entscheidung werde „für sehr viel Leid sorgen. Den Angehörigen von Syrerinnen und Syrern in Brandenburg bleibt nur noch die Flucht über lebensgefährliche Routen.“ Antworten auf die wichtigsten Fragen zum Landesaufnahmeprogramm hat der Flüchtlingsrat Brandenburg zusammengestellt.
Geflüchtete beim Familiennachzug unterstützen
Engagierte Menschen können Geflüchtete, die ihre Familie nachholen möchten, auf vielfältige Weise unterstützen. Zunächst ist das Verfahren zur Familienzusammenführung organisatorisch aufwendig und nicht selten auch finanziell fordernd, weil Dokumente oft auf komplizierten Wegen in den Herkunftsländern beschafft werden müssen. Um Geflüchtete in den komplexen Verfahren aktiv zu unterstützen, braucht es daher ein hohes Maß an Detailwissen und Erfahrung. Hier ist es wichtig, seine eigenen Fähigkeiten gut beurteilen zu können und sich nicht zu überschätzen. Einfacher ist es dagegen, Geflüchteten beim Finden einer Beratungsstelle (siehe unten) und bei allgemeinen Aspekten (Wege durch den Behördendschungel weisen, Termine vereinbaren, Briefe formulieren) zu unterstützen. Wichtig ist dabei selbstverständlich, alle Schritte immer gemeinsam und auf Augenhöhe mit den Geflüchteten zu besprechen und nicht eigenmächtig zu handeln.
Wenn ein Familiennachzug schließlich ansteht, gibt es ebenfalls viele Aufgaben, bei denen Unterstützung hilfreich sein kann: bei der Wohnungssuche und -ausstattung, bei Behördengängen nach der Ankunft der Familie, bei der Kita- und Schulanmeldung von angekommenen Kindern und bei vielen weiteren Alltagsfragen. Oft können bei solchen Fragen auch bereits bestehende Willkommensinitiativen und Vereine zur Unterstützung von Geflüchteten helfen. Dort, wo es sie noch nicht gibt, kann es sich anbieten, mit Gleichgesinnten selbst eine Willkommensinitiative zu gründen.
Wer die Aufnahme von Angehörigen syrischer Geflüchteter finanziell unterstützen möchte, kann sich an den Verein Flüchtlingspaten Syrien e.V. wenden. Der Verein unterstützt die Aufnahmen durch die Organisation von Verpflichtungserklärungen. Solche Bürgschaften sind im Rahmen der Aufnahmeprogramme – und damit auch des brandenburgischen Landesaufnahmeprogramms Syrien – notwendig. Die Bürgenden verpflichten sich, für fünf Jahre den Lebensunterhalt und die Miete der Aufgenommenen zu übernehmen, solange sie diese nicht selbst bestreiten können. Achtung: Für den oben beschriebenen Familiennachzug bedarf es keiner Bürgschaften!
Beratungsstellen
Wer Familienangehörige nachholen möchte oder andere Menschen beim Familiennachzug unterstützen will, sollte sich auf jeden Fall an eine im Bereich Flucht, Asyl und Migration tätige hauptamtliche Beratungsstelle wenden. Solche Beratungen, die es in allen größeren Städten gibt, heißen häufig „Migrationssozialarbeit“, „Migrationsfachdienst“ oder „Migrationsberatung“ bzw. „Fachstelle für Asylverfahrens- und Flüchtlingsberatung“ und werden in vielen Fällen von den Wohlfahrtsverbänden angeboten. Falls bei der kontaktierten Beratungsstelle selbst keine Expert*innen für den Bereich Familiennachzug tätig sein sollten, können sie aber in aller Regel an kundige Kolleg*innen verweisen.
Anlauf- und Beratungsstellen in Brandenburg hat der Flüchtlingsrat gesammelt, die Beratungsstellen für das Landesaufnahmeprogramm Syrien sind hier zu finden. In anderen Bundesländern haben die Flüchtlingsräte ebenfalls Übersichten über die Beratungsstellen im Bereich von Flucht, Asyl und Migration zusammengestellt.
Weiterführende Informationen
Um sich einen weitergehenden Überblick über den Familiennachzug, die rechtlichen Regelungen und die praktischen Hürden zu verschaffen, sind die vertiefenden Informationen der nachfolgenden Fachstellen zu empfehlen. Dort finden sich auch detaillierte Informationen zu den Verfahren des Familiennachzugs.
Caritas Deutschland: Wenn Kinder und Ehegatten nachkommen möchten (Stand: Mai 2022).
Informationsbund Asyl & Migration: Familienzusammenführung (Stand: März 2023).
Beauftragter für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen des Landes Schleswig-Holstein: Familiennachzug: Checkliste für die Beratungspraxis (PDF, Stand: August 2021).
Flüchtlingsrat Niedersachsen: Familiennachzug nach dem Aufenthaltsgesetz (Stand: Januar 2023).
Kampagnen
Pro Asyl: Familien gehören zusammen!
Initiativen für Familienleben für Alle
(Stand: Oktober 2023)