Was also ist Migration, wer ist Migrant*in? Ist ein*e Migrant*in dasselbe wie eine „Person mit Migrationshintergrund“? Und wie lassen sich die verschiedenen Begriffe einordnen?
Wer ist ein*e Migrant*in?
Als Migrant*innen (von lateinisch migratio = (Aus)Wanderung, Umzug) werden viele Menschen bezeichnet, auch wenn sich ihre Lebensgeschichten und ihre rechtliche Situation deutlich voneinander unterscheiden. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ihren Lebensmittelpunkt in eine neue Region oder ein anderes Land verlegen: Sie ziehen also um. Wenn der Umzug zeitlich befristet ist, spricht man von temporärer Migration. Ist der Umzug unbefristet oder zumindest langfristig angelegt, handelt es sich um dauerhafte Migration.
Wenn Menschen innerhalb eines Staates von einem Verwaltungsbezirk in den nächsten ziehen – in Deutschland etwa von einem Bundesland in ein anderes – wird von Binnenmigration gesprochen. Werden Staatsgrenzen überschritten, ist von internationaler Migration die Rede. Über die Gründe ist damit noch nichts gesagt, sie sind naheliegenderweise sehr vielfältig: Liebe, Neugierde, Bildung, Suche nach besseren Arbeitsmöglichkeiten, Abenteuerlust, eine Reaktion auf Krisen und vieles mehr.
Aus Sicht der Migrationsforschung gehört Migration zu den Grundbedingungen menschlichen Lebens. Die Geschichte Europas und Deutschlands wurde entscheidend von Migration in all ihren Facetten geprägt. Das gilt auch für Brandenburg. Einwanderung, Zu- und Abwanderung waren im Laufe der Jahrhunderte wiederkehrende Phänome und nahmen Einfluss auf das Land Brandenburg und seine Gesellschaft. Selbst jene, die sich als Teil der Mehrheitsgesellschaft verstehen und die Zuwanderung nach Deutschland (oder nach Brandenburg) ablehnen, können sicher sein, dass sich auch in ihrer eigenen Familiengeschichte Migrant*innen finden.
Migrant*innen in Deutschland
Auch wenn sich die deutsche Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg lange damit schwer getan ist, sich als solches zu verstehen, ist Deutschland, und damit auch Brandenburg, zweifellos ein Einwanderungsland.
Eine der größten Gruppen von Migrant*innen in Deutschland sind Aussiedler*innen bzw. Spätaussiedler*innen. Es handelt sich hierbei um eine sehr heterogene Gruppe von Menschen, die vor allem in Polen, der ehemaligen Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten, dem ehemaligen Jugoslawien, Rumänien und der ehemaligen Tschechoslowakei lebten und dort als Deutsche angesehen wurden und sich (zumeist) auch selbst als solche verstanden. Seit 1950 wurden zunächst – vor allem in der Bundesrepublik, in kleinerer Zahl auch in der DDR und dann im wiedervereinigten Deutschland – über 4,5 Millionen (Spät-)Aussiedler*innen als „deutsche Volkszugehörige“ aufgenommen. Hier hatten sie unmittelbaren Zugang zur deutschen Staatsangehörigkeit.
Eine andere große Zuwanderungsgruppe waren sowohl in der Bundesrepublik wie in der DDR Arbeitsmigrant*innen. Seit 1955 hatte die Bundesrepublik Anwerbeabkommen unter anderem mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei und Jugoslawien geschlossen, über die zunächst bis 1973 Arbeitskräfte auf den damals leergefegten bundesdeutschen Arbeitsmarkt kommen konnten. Während ein Teil von ihnen nur für eine begrenzte Zeit blieb, wurden andere in der Bundesrepublik heimisch und holten oft Familienangehörige nach. Ihre Nachkommen leben in zweiter oder dritter Generation in Deutschland und haben in vielen Fällen die deutsche Staatsbürgerschaft.
Auch die DDR hatte aufgrund des Arbeitskräftemangels über bilaterale Abkommen Arbeitskräfte aus anderen Staaten aufgenommen, etwa aus Angola, Kuba, Algerien, Ungarn und Polen. Prägend waren dabei insbesondere die Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam und Mosambik. Auch wenn die DDR-Propaganda den Aufenthalt der Vertragsarbeiter*innen als „Arbeitskräftekooperation“ mit anderen sozialistischen Staaten darstellte, waren diese keineswegs gleichberechtigt. Sie waren vielmehr von Betrieben abhängig, mussten in Gemeinschaftseinrichtungen wohnen und unterstanden der strikten Kontrolle durch die DDR-Behörden. Damit fanden sie sich am Rand der Gesellschaft wieder. Nach der Wende standen sie unter erheblichem Druck: Sie verloren sowohl ihre Arbeit als auch ihre Unterkünfte und ihre Aufenthaltserlaubnis. Viele kehrten nach Vietnam und Mosambik zurück.
Heute spielt die Arbeitsmigration innerhalb der Europäischen Union eine große Rolle. Erntehelfer*innen aus anderen EU-Staaten, die für einige Wochen oder Monate in Deutschland in der Landwirtschaft arbeiten und anschließend wieder nach Hause zurückkehren, sind ein klassisches Beispiel für temporäre internationale Migration nach Deutschland. Aber auch aus Staaten außerhalb der EU werden Arbeitskräfte gezielt angeworben, um in Deutschland Lücken im Arbeitsmarkt zu schließen, etwa im Gesundheitssektor als Ärzt*innen oder Pflegekräfte. Andere Menschen kommen zum Beispiel für ein Studium nach Deutschland.
Was hat es mit dem Migrationshintergrund auf sich?
Für das Statistische Bundesamt hat eine Person einen Migrationshintergrund, „wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde“. Der Begriff ist aber durchaus umstritten. Denn eine eigene Migrationserfahrung spielt für diese Zuschreibung keine Rolle: Menschen können in Deutschland geboren sein und seit ihrer Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, sie werden statistisch (und in vielen Debatten) trotzdem als „Menschen mit Migrationshintergrund“ geführt, wenn ein Elternteil nicht mit der deutschen Staatsangehörigkeit geboren wurde. Das Kind einer deutschen Frau und (eines mit polnischen Staatsbürgerschaft geborenen) Spätaussiedlers, das sein ganzes Leben in Cottbus verbringt, hat also statistisch gesehen einen „Migrationshintergrund“; ein im Ausland geborenes Kind deutscher Eltern, das später nach Deutschland eingewandert ist, hat dagegen keinen.
Laut der Erhebung für das Jahr 2022 haben 23,8 Millionen Menschen in Deutschland – fast 29 Prozent der Gesamtbevölkerung – einen sogenannten Migrationshintergrund. 13,4 Millionen Menschen in Deutschland sind ausländische Staatsangehörige.
In Brandenburg wiederum leben 274.000 Menschen mit Migrationshintergrund: Das sind knapp 11 Prozent der Bevölkerung. Von diesen haben 147.000 Menschen eine ausländische Staatsbürgerschaft.
Bei den Menschen mit nicht-deutscher Staatsbürgerschaft in dieser Statistik ist zu berücksichtigen, dass nicht wenige von ihnen in Deutschland geboren wurden, aufgewachsen sind und nie in einem anderen Land gelebt haben. Da in Deutschland die Staatsbürgerschaft aber (zunächst) von jener der Eltern abhängt, gelten sie als ausländische Staatsangehörige – und als „Menschen mit Migrationshintergrund“.
Über Lebensrealititäten und Diskriminierungserfahrungen sagt die Zuschreibung „Migrationshintergrund“ ebenfalls nichts aus. So erfahren viele Menschen ohne Migrationshintergrund etwa wegen ihres Aussehens oder ihres Namens Rassismus. Betroffen sind zum Beispiel viele Sinti*ze, Rom*nja oder Schwarze Deutsche.
Migration geht nicht nur in eine Richtung
In Debatten wird oft der Eindruck erweckt, Ausländer*innen würden – gerade auch wegen des vermeintlich so gut ausgestalteten Sozialstaates – unbedingt nach Deutschland ziehen wollen und dann nie wieder gehen. Ein Blick auf die Zahlen zeigt aber ein anderes Bild: Im Jahr 2022 verließen 943.061 Ausländer*innen Deutschland, ein Jahr zuvor waren 746.474 Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit fortgezogen. Für sehr viele Menschen ist Deutschland aus unterschiedlichen Gründen – Arbeit, Studium, Liebe, Flucht – eine Station im Leben, aber nicht unbedingt der Ort, an dem sie für immer leben werden. Das ist auch nicht verwunderlich: Migration bedeutet nicht, dass Menschen ihren Lebensmittelpunkt verlagern und dann für immer am neuen Ort bleiben. Weiterwanderung und Rückkehr gehören zur Migration immer dazu.
Und selbstverständlich sind auch Deutsche Migrant*innen: Im Jahr 2022 zogen 184.753 Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die zuvor im Ausland gelebt hatten, nach Deutschland, während 268.167 Deutsche fortzogen und dann in anderen Ländern als Migrant*innen lebten. Ähnlich waren die Zahlen im Jahr zuvor. Seit 2005 gibt es eine Nettoabwanderung von Deutschen in andere Länder: Es wandern also mehr Deutsche aus als nach Deutschland (zurück)ziehen.
Demgegenüber ziehen pro Jahr mehr Nichtdeutsche nach Deutschland als andere fortziehen, so dass sich ein jährlicher Zuwanderungssaldo ergibt. Dieser lag zwischen 2003 und 2o22 bei durchschnittlich rund 380.000 Menschen pro Jahr. Unter ihnen waren EU-Bürger*innen im Rahmen der Freizügigkeit, internationale Student*innnen, Arbeitsmigrant*innen aus verschiedenen Teilen der Welt mit Arbeitsvisa sowie Schutzsuchende. Ohne diese vielfältige Zuwanderung wäre die Bevölkerungszahl in Deutschland seit Jahren deutlich gesunken – wegen der geringen Geburtenrate und der jährlichen Nettoabwanderung von Deutschen. Für den Arbeitsmarkt wäre eine schrumpfende Bevölkerung durchaus problematisch.
Migration und der deutsche Arbeitsmarkt
In Deutschland werden in den nächsten Jahren mit den Menschen, die etwa zwischen 1955 und 1965 geboren wurden, die geburtenstärksten Jahrgänge in den Ruhestand gehen oder sind bereits in Rente. Die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte wird dadurch, wie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) schätzt, um mehrere Millionen Menschen sinken. Wenn viele Fachstellen nicht mehr besetzt werden können, hat das deutliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und auf viele weitere Lebensbereiche.
Eine Möglichkeit, die Folgen abzumildern, wäre aus Sicht von Expert*innen die Einwanderung nach Deutschland. Gleichwohl ist Deutschland laut Studien für ausländische Fachkräfte nur mäßig attraktiv, andere Länder wie etwa Kanada, Neuseeland oder Norwegen sind hinsichtlich der Arbeits- und Lebensbedingungen dagegen deutlich reizvoller. Auch Rassismus schreckt nach Einschätzung von Expert*innen potenzielle Arbeitskräfte ab. So wird von verschiedener Seite davor gewarnt, dass die wirtschaftliche Entwicklung der Lausitz durch Rechtsextremismus und Rassismus stark gefährdet sei.
Und sind Flüchtlinge eigentlich auch Migrant*innen?
Auch wenn Geflüchtete und Migrant*innen im Zielland oft vor ähnlichen Herausforderungen stehen können – ein längerer Integrationsprozess, sprachliche Hürden, ein Fehlen sozialer Netzwerke, eine Konfrontation mit Rassismus –, gibt es zwischen beiden Gruppen fundamentale Unterschiede.
Grundsätzlich gilt: Flucht ist nicht freiwillig. Geflüchtete sind vielmehr durch Kriege, Gewalt, individuelle und kollektive Verfolgung oder Unterdrückung dazu gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen. Flucht ist, auch wenn sie in Etappen erfolgt, zumeist fremdbestimmt.
Migrant*innen hingegen sehen sich nicht einer unmittelbaren Bedrohung gegenüber. Auch wenn mitunter bestimmte ökonomische Zwänge eine Auswanderung in ein anderes Land nahelegen, entscheiden sie freiwillig darüber, ihren Lebensmittelpunkt zu verlegen und haben mehr Möglichkeiten, ihr Vorhaben zu planen und selbst zu gestalten. Sie reisen außerdem in der Regel mit den notwendigen Dokumenten in das Zielland ein. Wer als Fachkraft seinen Lebensmittelpunkt nach Deutschland verlegt, hat das notwendige Visum erhalten (soweit dieses eine Voraussetzung ist) und alle Formalia erledigt.
Menschen auf der Flucht haben diese Chance nicht. Wer um sein Leben fürchtet und aus dem eigenen Land fliehen muss, hat nicht die Zeit, einen Antrag auf ein Visum zu stellen, und auch selten die Möglichkeit, alle notwendigen Dokumente zu besorgen und mitzunehmen. Und selbst wenn ein*e Geflüchtete*r einen Reisepass besitzt und ihn bei sich hat, hilft dieser nicht viel, weil die Grenzen für Menschen auf der Flucht fast immer verschlossen sind. Denn eine Erlaubnis zur Einreise erhalten Geflüchtete zumindest in Europa in aller Regel nicht. Erst diese Weigerung von Staaten, Geflüchtete die Einreise zu gestatten, macht deren Überqueren von Grenzen „illegal“.
Eine Ausnahme bildet die Aufnahme der Schutzsuchenden aus der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskrieg. Ukrainer*innen können ohne Visum in die EU einreisen und sich dort frei bewegen.
(Stand: August 2023)