Wir haben uns daher die Kandidat*innen genauer angesehen: Gibt es Hinweise auf demokratiefeindliche, rassistische oder antisemitische Einstellungen? Bis zu den Wahlen werden wir uns in regelmäßigen Abständen verschiedenen Themenbereichen widmen.
Delegitimation der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Institutionen
„Reichsbürger*innen“ und „Selbstverwalter*innen“ sind in den letzten Jahren aufgrund ihrer Gewaltaffinität, ihres Waffenbesitzes und dem Ausrufen fiktiver „Deutscher Reiche“ aufgefallen. Obwohl sie sehr unterschiedliche Vorstellungen haben, einen sie zwei Grundsätze: Die Bundesrepublik Deutschland wird als vermeintliches Konstrukt der alliierten Staaten abgelehnt und es wird behauptet, dass ein „Deutsches Reich“ in den Grenzen von 1871, 1918, 1933 oder 1937 fortbesteht.
Die Bundesrepublik Deutschland wird von den meisten Reichsbürger*innen beschrieben als unsouveränes Staatskonstrukt der Alliierten, als „BRD-GmbH“ oder „BRD-Treuhandgesellschaft“. Ämter, aber auch die Medien („Firma ARD ZDF Deutschlandradio GmbH“) werden allesamt als Firmen bezeichnet. Je näher sie rechtsextremen Ideologien stehen, desto stärker vertreten Reichsbürger*innen die Ansicht, dass es die Siegermächte waren, die mit der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschlands im Jahr 1945 eine „Firma BRD“ gegründet hätten. Diese Rechten sehnen sich nach einem Deutschen Reich in den Grenzen von 1939. Die in Deutschland lebenden 19.000 Reichsbürger*innen und Selbstverwalter*innen bringen zahlreiche selbsternannte Könige und „Reichsgründungen“ hervor, die etwa wie der „Freistaat Preußen“ ständig neu ausgerufen werden oder ihre Grenzen ändern.
Rechte und rechtsextreme Anhänger*innen der Reichsidee nutzen die sozialen Medien zur Vernetzung und Verbreitung ihrer Ideologie. Unter jenen, die in Brandenburg einschlägigen Facebook-Gruppen mit Namen wie „Deutsches Reich“, „Deutsches REICH“ oder „Königreich Preußen“ folgen und „liken“, sind auch Mario Kuczera, Kandidat der AfD für die Stadtverordnetenversammlung Seelow und für den Kreistag Märkisch-Oderland, und Ralf Maasch, AfD-Kandidat für die Stadtverordnetenversammlung Rathenow. Die von ihnen verfolgten Gruppierungen erkennen die Oder-Neiße-Linie nicht als Grenze Deutschlands an. Der in Rathenow für die rechtsextreme Wahlliste „Die Republikaner – Bürgerbündnis Havelland – parteilose Bürger“ kandidierende Reichsbürger Mario Schmurr hat in den Räumen seiner ehemaligen Fleischerei ein „Bürger Meister Büro“ gegründet, in dem er eine „Sinnbewegung“ propagiert.
Eigene Gerichte und Gewaltbereitschaft
Das „Bürger Meister Büro“ ist ein typisches Beispiel, wie mit Fantasienamen staatsähnliche Institutionen erfunden werden. Reichsbürger*innen stellen sich ihre eigenen Pässe aus und weigern sich, GEZ-Gebühren oder Ordnungsgelder zu zahlen. Daher kommt es immer wieder zu Zwangsvollstreckungen der deutschen Behörden. Als im November 2017 zwei Polizisten einem Reichsbürger in Fürstenberg/Havel einen Haftbefehl vorlegten, da er wiederholt eine Geldstrafe nicht bezahlt hatte, griff er sie an.
Thorsten Burzlaff, AfD-Kandidat für den Kreistag Teltow-Fläming, besuchte den Schwiegervater des Reichsbürgers Adrian Ursache, der 2018 wegen versuchten Mordes zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde. Ursache hatte am 25. August 2016 auf einen Beamten geschossen, als die Polizei dessen Grundstück zwangsräumen wollte. Auf der Facebook-Seite „Adrian Ursache Spendenaufruf“ zeigt sich Burzlaff in einem Video und behauptet, er sei ein Kommissar vom „Gerichtshof der Menschen“ – eine einschlägige Homepage der Reichsbürgerbewegung, die eine eigene Gerichtsbarkeit fernab der staatlichen Gerichte beansprucht. Die Polizist*innen, die Adrian Ursache festnahmen, nannte Burzlaff in dem Video „die Bediensteten der BRD, das Räuberkommando“. Der Gebrauch einer Schusswaffe durch den Verurteilten wird in dem Video nicht kritisiert.
Verschwörungstheorien, Geschichtsrevisionismus und Rassismus
Die Annahme, dass es keinen völkerrechtlich legitimierten Staat Deutschland gäbe, ist die Grundlage der Verschwörungsideologie der Reichsbürger*innen. Daneben tauchen aber viele weitere Behauptungen auf, die in rechtsextremen Kreisen gängig sind – etwa, dass die Geschicke der Welt von einer (jüdischen) Elite gelenkt werden oder dass Zuwanderung von den etablierten Parteien mit dem Ziel eines Austausches der deutschen Bevölkerung gefördert würde. Um dies zu verhindern, müsse sich das „deutsche Volk“ selbst zur Wehr setzen. Thorsten Burzlaff postete beispielsweise auf Facebook ein Video, dass die US-amerikanische „Q-Anon“-Verschwörungsideologie erklärt. Diese behauptet, dass es einen staatlich und von Hollywood organisierten Kinderhandel sowie Putschvorbereitungen der Demokratischen Partei gäbe. Auch Mario Schmurr verbreitet die Idee, dass „nichts so sei, wie es scheint“. Mario Kuczera ist mit einem geschichtsrevisionistischen Post aufgefallen, dass „Großbritannien und Frankreich dem deutschen Reich den Krieg erklärten, nicht umgekehrt.“
Die Proteste gegen Geflüchtete führten zur Annäherung von Reichsbürger*innen mit anderen Rechtsextremen und Rechtspopulist*innen. Einige von ihnen nahmen an Aktionen des Bürgerbündnisses Havelland teil. Die Vorstellung einer Bedrohung der Deutschen durch eine „Invasion“ von Migrant*innen führt zu verstärkter Kooperation und zu Überschneidungen. So organisierte Andy Schöngarth, inzwischen Kandidat der AfD für die Stadtvertretung von Cottbus, bereits im Jahr 2015 mehrmals gemeinsam mit dem regionalen Reichsbürger-Aktivisten Rico Handta flüchtlingsfeindliche Demonstrationen in der Stadt.