Umgang mit Verschwörungserzählungen
Das massenhafte Aufkommen demokratiefeindlicher Kritik an den staatlichen Corona-Maßnahmen hat zu einer neuen Verbreitung von Verschwörungsideologien beigetragen. Was ist daran problematisch und wie kann dieser Entwicklung effektiv begegnet werden?
Der Glaube an Verschwörungen ist nicht neu. Allerdings unterscheiden sie sich in ihrer Form: von antisemitischen Verschwörungen aus dem Mittelalter bis hin zu der Überzeugung an eine gefälschte Mondlandung in den 1960er Jahren. Verschwörungserzählungen liefern einfache Muster, um komplizierte Entwicklungen oder Krisen zu verstehen. Die Covid-19-Pandemie sowie die damit zusammenhängenden staatlichen Maßnahmen haben das Leben vieler Menschen verändert. Als Reaktion erleben Verschwörungserzählungen einen neuen Boom. Viele Menschen teilen Überzeugungen, dass der Virus nicht existiere oder Impfungen der Kontrolle der Bevölkerung dienten. Es scheint momentan fast unmöglich, nicht mit entsprechenden Vorstellungen konfrontiert zu werden – sei es durch Nachrichten in Chatgruppen oder Gesprächen mit Verwandten auf Familienfeiern. Die Verbreitung solcher Vorstellungen bedroht das gesellschaftliche Zusammenleben, und viele Verschwörungserzählungen weisen Anknüpfungspunkte zu rechten und antisemitischen Denkmustern auf.
Wie funktionieren Verschwörungserzählungen?
Allen Verschwörungserzählungen gemein ist ihre vereinfachende Sicht auf die Welt. Auf der einen Seite gibt es ein starkes Feindbild, wonach nahezu allmächtige Verschwörer*innen die Geschicke der Welt lenken. Auf der anderen Seite befinden sich die hilflos ausgelieferten Opfer. Die Verschwörungsgläubigen stehen dabei in der Mitte. Sie sind zwar selbst vom Bösen betroffen, haben aber die geheimen Machenschaften durchschaut und kämpfen dagegen. Der Glaube an Verschwörungen liefert simple Freund-Feind-Unterscheidungen, um uneindeutige gesellschaftliche Entwicklungen zu ordnen. Psychologisch betrachtet tragen sie zu einer Komplexitätsreduktion bei. Sie liefern eine verständliche Orientierung in einer Welt, die als undurchsichtig empfunden wird. Daneben zeigen sie auch einen Ausweg aus dieser empfundenen Situation des Ausgeliefertseins auf. Sie vermitteln das Gefühl, man selbst habe als eine von wenigen Personen „die Wahrheit“ erkannt, und steigern so das Selbstwertgefühl. Besonders gefährlich wird diese Selbsterhöhung, wenn daraus eine Selbstermächtigung folgt. Hierbei sehen sich die Anhänger*innen von Verschwörungsideologien als Betroffene, die dringend handeln müssen.
Verschwörungserzählungen richten sich oftmals gegen marginalisierte gesellschaftliche Gruppen wie Jüdinnen*Juden oder Muslim*innen. Dadurch werden Diskriminierung oder Gewalt gegen sie legitimiert.
Warum nicht Verschwörungstheorie?
Oft werden die beschriebenen Phänomene als Verschwörungstheorien bezeichnet. Allerdings deutet der Begriff eine Wissenschaftlichkeit an, die nicht besteht. Wissenschaftliche Theorien behaupten keine letztgültige Wahrheit. Wissenschaftliche Ergebnisse lassen sich objektiv überprüfen und gegebenenfalls widerlegen (Falsifizierbarkeit). Beim Glauben an Verschwörungen ist dies nicht der Fall. Stattdessen wehren sich dessen Vertreter*innen gegen jeden Widerspruch. Verschwörungserzählungen ähneln daher eher Glaubenssystemen wie Religionen. Das drückt der Begriff „Verschwörungsmythos“ aus. Ein einzelner Verschwörungsmythos kann auch Verschwörungserzählung genannt werden. Das sind einzelne Überzeugungen, zum Beispiel dass in zukünftigen Corona-Impfungen Mikrochips enthalten wären. Wenn sich aus diesen Einzelmythen umfassende Welterklärungen ableiten, ist von einer geschlossenen Verschwörungsideologie zu sprechen.
Alles Unsinn, oder?
Viele Verschwörungserzählungen wirken absurd. Ihre Auswirkungen sind aber nicht zu unterschätzen. Durch die Aufteilung der Welt in Gut und Böse tragen sie zu einer Spaltung der Gesellschaft bei, in der es keine Zwischentöne oder Raum für Diskussionen mehr gibt. Demokratischer Streit wird unmöglich. Zugleich bedroht die pauschale Abwertung von Einzelpersonen oder Personengruppen das gesellschaftliche Miteinander, da ihnen als vermeintliche Strippenzieher*in die menschliche Würde aberkannt wird. Aufgrund der Selbstwahrnehmung als Opfer, das sich zur Wehr setzen muss, befeuern Verschwörungserzählungen die Eskalation gesellschaftlicher Konflikte. Wer glaubt, dass alle Medien absichtlich lügen, hält unter Umständen auch Angriffe auf Journalist*innen für gerechtfertigt. So weichen Verschwörungserzählungen den demokratischen Wertekanon und die Prinzipien eines friedlichen Miteinanders auf.
Was tun?
Im Allgemeinen gilt es, verschwörungsideologisches Denken – ob in der Öffentlichkeit, auf Arbeit, im Verein oder Internet – nicht einfach hinzunehmen, sondern zu widersprechen. Es ist wichtig, auf Demokratiefeindlichkeit hinzuweisen und diesem Denken solidarische Positionen entgegenzustellen. Allerdings kann der Umgang mit Verschwörungserzählungen schwierig sein, insbesondere wenn ihre Anhänger*innen ein geschlossenes Weltbild vertreten. Als glaubwürdige Argumente werden dann nur noch jene anerkannt, die sich aus den eigenen Informationen speisen. Andere Quellen, wie Zeitungsberichte oder wissenschaftliche Studien, zählen nicht, da sie angeblich Teil der Verschwörung sind. Das macht Diskussionen über objektive Argumente zum Teil nahezu unmöglich. Zudem führt selbst das Aufzeigen von Widersprüchen im Verschwörungsglauben kaum dazu, dass Anhänger*innen von ihm ablassen. Dies wäre mit der schmerzlichen Einsicht verbunden, an Unwahrheiten geglaubt zu haben. Verschwörungsgläubige neigen eher dazu, immer größere Verschwörungserzählungen zu erfinden, um das eigene Weltbild zu stützen. Sind Gesprächspartner*innen jedoch für Widerspruch offen, sollte dies für Diskussionen und das Vorbringen eigener Argumente genutzt werden. So kann der Alleinerklärungsanspruch verschwörungsideologischen Denkens unter Umständen durchbrochen werden.
Respektvoll bleiben
Die Erfolgsaussicht einer Diskussion mit Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen hängt vor allem davon ab, wie geschlossen deren Weltbild ist. Bei gefestigten Vorstellungen ist kaum eine Auseinandersetzung möglich bzw. dauert diese sehr lange Zeit und sollte professionell begleitet werden. Grundsätzlich gilt: Bei der Diskussion mit Verschwörungsgläubigen sollte ihnen respektvoll begegnet werden. Auch wenn ihre Vorstellungen abwegig erscheinen, sind sie für die Personen eine wichtige Stütze. Den Verschwörungsglauben aufzugeben ist mit viel Selbstreflexion verbunden und kann nicht erzwungen werden. Eine ruhige und wenig konfrontative Gesprächsführung kann dabei helfen. Demgegenüber führen persönliche Angriffe oder das Verächtlichmachen der Ansichten meistens nur zu Abwehrreaktionen und einer Verstärkung der Skepsis gegenüber Außenstehenden.
Keine Detaildiskussionen
Bei Diskussionen ist eine Widerlegung von Verschwörungserzählungen kaum möglich, da sie oft auf ein Gegeneinander von Aussagen hinauslaufen. Vielmehr versuchen Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen mit Detaildiskussionen ihren Standpunkt zu verbessern. Sie haben sich in der Regel intensiv mit vermeintlichen Fakten zu ihrer Weltsicht beschäftigt, denen andere in dieser Detailfülle kaum etwas entgegensetzen können. Stattdessen gilt es herauszufinden, welche Zustände mit dem verschwörungsideologischen Denken kritisiert werden sollen. Hieraus können Ansatzpunkte für eine Diskussion auf einer geteilten Argumentationsgrundlage gefunden werden. Bestenfalls ist es so möglich, alternative Erklärungen abseits von Verschwörungserzählungen aufzuzeigen.
Anzeichen ernst nehmen
Beim Umgang mit Verschwörungsdenken sollten schon die kleinsten Anzeichen ernst genommen und nicht als „Spinnerei“ abgetan werden. Menschen, die erst anfangen, sich mit entsprechenden Erzählungen zu beschäftigen, sind sie für Diskussionen meist noch eher zugänglich. Verschwörungsdenken ähnelt einem „Kaninchenbau“. Bereits ein kleiner Zweifel in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen kann als Eintrittspunkt in größere „Verschwörungsuniversen“ dienen, die sich heutzutage vor allem in den Filterblasen und Echokammern des Internets entfalten. Daneben haben sich Gruppen in Messenger-Diensten wie Telegram zu einem Kernmedium der Vernetzung von Verschwörungsgläubigen entwickelt.
Auf den Kontext achten
Die Handlungsoptionen unterscheiden sich je nach Kontext, in dem Verschwörungsideologien geäußert werden. Im familiären Umfeld oder im Freundeskreis sind beispielsweise persönliche Diskussionen eher möglich. So kann herausgefunden werden, warum eine Person Halt in verschwörungsideologischem Denken sucht und es können gegebenenfalls alternative Wege aufgezeigt werden. Auch bei Arbeitskolleg*innen oder im Vereinsleben kann ein Gespräch helfen. Falls dadurch keine Veränderungen eintreten, kann es ratsam sein, Unterstützung bei Vorgesetzten, Betriebsrat oder Vereinsvorstand zu suchen bzw. diesen einzufordern. Jeder Mensch hat das Recht, nicht von Verschwörungsideologien belästigt zu werden. Um dies durchzusetzen, können auch (formale) Sanktionen wie Abmahnungen oder Vereinsausschluss eingesetzt werden. Unter Umständen ist es ratsam, die gegenwärtigen Diskussionen zu nutzen, um proaktiv tätig zu werden und beispielsweise ein Verbot der Verbreitung menschenfeindlicher Verschwörungsideologien in Vereinssatzungen festzuschreiben. Im Internet fehlen solche Maßnahmen größtenteils. Dennoch sollte solche Propaganda auch im digitalen Raum nicht unkommentiert bleiben, um Widerspruch sichtbar zu machen. Gegebenenfalls sollte solche Propaganda bei Seitenbetreibern gemeldet werden. Verschwörungsideologien verlassen oftmals den Rahmen des demokratischen Diskurses und sollten auch so behandelt werden. Ihnen den Raum zu nehmen, stärkt Betroffene und verhindert eine weitere Verbreitung.
Hintergrundwissen erwerben
Das gegenwärtige Hoch von Verschwörungserzählungen wird uns noch einige Zeit beschäftigen. Viele der nun aufgekommenen und aktualisierten Mythen werden sich lange in der gesellschaftlichen Diskussion halten. Deshalb ist eine kritische Auseinandersetzung notwendig – selbst wenn es vielleicht bisher kaum persönliche Berührungspunkte gab. Um sich menschenfeindlichen Äußerungen argumentativ entgegenstellen zu können, ist es ratsam, sich eingehend mit den Hintergründen zu beschäftigen und konkrete Verschwörungsideologien erkennen zu können. Dazu gehören nicht nur die Erzählungen selber, sondern auch ein Vielzahl an Codes und Symbolen. Neben Bildungsangeboten bieten Beratungsstellen wie mobile Beratungen Hilfe beim Umgang mit Vertreter*innen von Verschwörungsideologien.
Katrin Fritzsch
Weitere Informationen:
Das Versteckspiel: Verschwörungsmythen.
Belltower News: Symbole und Codes der Verschwörungsideologien rund um die Coronavirus-Pandemie.
Amadeu Antonio Stiftung: Wissen, was wirklich gespielt wird … Krise, Corona und Verschwörungserzählungen.
Wiki zu Verschwörungsglauben: www.psiram.com.