Die Bundesrepublik sei daher kein völkerrechtlich anerkannter Staat, sondern ein nach 1945 installiertes, nicht-souveränes Staatskonstrukt der Alliierten beziehungsweise eine Firma: die „BRD-GmbH“. Es gäbe aber eine Verschwörung gegen Deutschland, die diese Erkenntnis unterdrücke.
Seit November 2016 wird die Reichsbürgerbewegung vom Bundesamt und von den Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet. Das Bundesamt geht derzeit von 19.000 Reichsbürger*innen und Selbstverwalter*innen aus. 950 von ihnen stuft das Amt als rechtsextrem ein (Stand Juli 2020). 600 Personen aus dieser Szene sind in Brandenburg bekannt, etwa 60 davon gelten als rechtsextrem. Viele sind über 45 Jahre alt, der Großteil ist männlichen Geschlechts.
Bis 2018 verfügten in Brandenburg 39 Reichsbürger*innen über waffenrechtliche Genehmigungen. Im Vergleich zur brandenburgischen Gesamtbevölkerung war dieser Anteil vier Mal höher. In 26 Fällen wurden Reichsbürger*innen die Waffen entzogen (Stand Juni 2018). Bei Hausdurchsuchungen stellte die Polizei auch immer wieder illegalen Waffenbesitz sicher.
Der Traum vom Reich
Die Sehnsucht nach einem Reich ist nicht neu. Bereits kurz nach der Niederlage des NS-Regimes am 8. Mai 1945 begannen extreme Rechte, ein neues Reich zu propagieren. Die 1949 gegründete Sozialistische Reichspartei Deutschlands (SRP) trug dieses Bekenntnis nicht nur im Namen. Zu den Forderungen der 1952 verbotenen Partei gehörten „Treue zum Reich“ und „Anspruch auf die Gesamtheit des Reichsraumes“. Nach dem Verbot wandten sich viele Mitglieder der Deutschen Reichspartei (DRP) zu, die die Wiederherstellung des in den Jahren 1867 bis 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreiches forderte. Knapp ein Jahr nach der Gründung der NPD löste sich die DRP 1965 auf.
1985 dachte sich Wolfgang Gerhard Günter Ebel die Kommissarische Reichsregierung (KRR) aus. Ebel kam nicht aus der extrem rechten Szene. Er ernannte sich selbst zum „Generalbevollmächtigter des Deutschen Reiches“, konnte aber nur eine kleine Anhängerschaft gewinnen. Ebel sendete seine vermeintlichen Amtshandlungen per Einschreiben mit Rückschein an den US-amerikanischen Stadtkommandanten in Berlin und nach dem Abzug der Besatzungstruppen an die US-Botschaft. Kam innerhalb von 21 Tagen kein Widerspruch, sah der „Reichskanzler“ seine Ansprüche und Anträge als genehmigt an. Dies ist eine gängige Praxis in der Bewegung geworden. Auch das Angebot von Personalausweisen, Reisepässen, Führerscheinen und Kfz-Kennzeichen gegen Geld geht auf Ebel zurück.
1994 gründeten die Rechtsextremen Reinhold Oberlecher, Uwe Meenen und Horst Mahler das Deutsche Kolleg (DK). Fünf Jahre später veröffentlichte das Kolleg eine „Reichsverfassung“ mit 18 Artikeln. Das Deutsche Kolleg bezeichnete sich als „ein Denkorgan des Deutschen Reiches“. Wie jede*r Deutsche habe auch das DK „alle Rechte des Deutschen Reiches einschließlich der Souveränität und des Rechts zum Kriege bis (…) das Deutsche Reich auch durch besondere Staatsorgane wieder handlungsfähig wird“.
Der mehrfach verurteilte Holocaustleugner Horst Mahler forcierte 2003 die Reichsidee und rief die Reichsbürgerbewegung (RBB) aus.
Neue Reichsgründungen
Im Februar 2009 riefen Michael Freiherr von Pallandt, Jessie Marsson, Jo Conrad und weitere Anhänger*innen im Schloss Krampfer – einem ehemaligen Gutshaus bei Plattenburg im Landkreis Prignitz – das „Fürstentum Germania“ als „basisdemokratischen Kirchenstaat“ aus. Das „Fürstentum“ ging nach drei Monaten unter.
Ab 2010 bekam die Bewegung Zulauf und reichsideologisch Bewegte gründeten eigene Staaten und Königreiche. Seitdem entstanden über 30 Projekte, die in unterschiedlicher Weise von Reichsideen animiert waren oder sind: vom „Amt für Menschenrechte“ und „Bewusst TV“ über das „Deutsches Polizei Hilfswerk“ und den „Freistaat Preußen“ bis zum „Königreich Deutschland“ oder dem „Bundesstaat Bayern“.
Unabhängig davon, wer sich selbst zu dieser Bewegung zählt, werden in der Fachliteratur vier Milieus unterschieden
- Rechtsextreme, die seit 1945 verschiedene Reichsideen vertreten,
- Reichsbürger*innen, die eine eigene Reichsregierung propagieren,
- Selbstverwalter*innen, die als „souveräne Menschen“ unabhängige Staaten oder Reiche gründen und
- Souveränist*innen, die die Bundesrepublik nicht als souveränen Staat anerkennen und sich für ein souveränes Deutschland einsetzen.
In Brandenburg sind die meisten Reichsbürger*innen Einzelpersonen oder gehören zu kleineren Zusammenhängen, die sich durch Nachbarschaften und Freundeskreise herausgebildet haben. Die „Exilregierung Deutsches Reich“ ist zudem im Bundesland präsent. Sie ist bundesweit tätig und lädt jeden Monat an verschiedenen Orten in Deutschland zu „Bürgertreffen“ ein. Darüber hinaus betreibt die Gruppe einen Handel mit aufwendig erstellten Fantasieausweisen.
Eine weitere Gruppierung nennt sich „Provinz Brandenburg – Freistaat Preußen“. Auch sie erstellt Fantasieausweise. Auf der Website der Gruppe werden aber auch „Verfassungsgrundsätze der zukünftigen preußische Verfassung“ vorgestellt und ein „Preisrätsel zum 3. Reich“ angeboten. In einzelnen Texten werden darüber hinaus antisemitisch geprägte Verschwörungserzählungen wiedergegeben. Die Gruppierung unterhält ein Postfach in Cottbus.
In Fürstlich Drehna bei Luckau existiert sogar ein eigenes „Auswärtiges Amt“ eines weiteren „Freistaates Preußen“. Die bundesweit aktive Gruppierung verfügt darüber hinaus über eine eigene „administrative Regierung“, welche regelmäßig „Bekanntmachungen“ veröffentlicht. Darin werden beispielsweise internationale Verträge für nichtig erklärt, aktuelle Staatsgrenzen infrage gestellt, und die Bundesrepublik Deutschland wird zu einem „Fantasiestaat” degradiert.
Noch drastischer waren die Aktivitäten der Vereinigung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ (GdVuSt). Laut Bundesinnenministerium verbreitete die Gruppe Schriften, in denen sie Menschen mit „Strafgebühren“, „Inhaftierung“ und „Sippenhaft“ bedrohte. Weiterhin brachten die Veröffentlichungen der GdVuSt Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus zum Ausdruck. Das Bundesinnenministerium verbot die Vereinigung am 19. März 2020. Bundesweit wurden Objekte durchsucht, in Brandenburg die Wohnung eines 64-Jährigen aus dem Landkreis Oberhavel. Er erhielt auch die Verbotsverfügung, da er innerhalb der GdVuSt eine „herausgehobene Bedeutung“ innehatte.
Hohe Gewaltbereitschaft
Seit dem 19. Oktober 2016 hat sich der Blick von Sicherheitsbehörden, Politik und Medien auf die Reichsbürgerbewegung verändert. An jenem Morgen gab Wolfgang Plan im bayerischen Georgensmünd aus einem Hinterhalt elf Schüsse auf Polizeibeamte ab. Diese sollten die Waffen des Reichsbürgers einziehen. Ein Beamter starb, ein weiterer wurde schwer, zwei andere leicht verletzt.
Personen aus der Reichsbürgerszene hatten zwar schon vorher Gerichtsvollzieher*innen und Polizist*innen angegriffen, teils auch mit Schusswaffen, doch erst nach dem Vorfall in Georgensmünd setzte ein Umdenken ein. Die Reichsbürger*innen leiten ein vermeintliches Selbstverteidigungsrecht aus ihrer Ideologie ab und erheben sich selbst zum „Souverän“. Behördenvertreter*innen gelten ihnen als Angreifende auf ihren eigenen „Staat“.
Trotzdem wurden Reichsbürger*innen vor allem als „Irre“ oder „Spinner“ wahrgenommen, die Kommunal- und Steuerverwaltungen, Gerichte und Behörde mit mehrseitigen Schriften oder langwierigen Ausführungen belästigen und behindern, um Bußgelder, Gebühren oder Steuern nicht zu zahlen.
Aktivitäten in Brandenburg
Auch in Brandenburg greifen Menschen aus dem Reichsbürgermilieu Beamt*innen an: Im November 2017 mussten in Strausberg Polizeibeamte gegen einen Reichsbürger vorgehen, der seine Frau geschlagen hatte. Er verletzte vier Beamte. In Fürstenberg/Havel griff im selben Monat ein Reichsbürger zwei Polizisten an. Die Polizisten hatten ihn aufgesucht und über seinen Haftbefehl informiert, da er eine Geldstrafe in Höhe von 179 Euro nicht bezahlt hatte. Der Mann wehrte sich so heftig gegen seine Festnahme, dass ein Beamter mit Verletzungen stationär behandelt werden musste.
Bei den Protesten gegen Geflüchtete gingen Reichsbürger*innen in Brandenburg gemeinsam mit Rechtsextremen und Rechtspopulist*innen auf die Straße. Die Idee einer „Bedrohung der Deutschen“ und die Sorgen vor „Invasion“ und Verschwörung gegen das „Reich“ bilden hier inhaltliche Anknüpfungspunkte.
In der Corona-Pandemie verstärkte sich dieser Wandel von Aktivitäten in den eigenen vier Wänden hin zu öffentlichen Protesten auf der Straße. Reichsbürger*innen beteiligten sich in großer Zahl an den sogenannten Querdenken- und Hygiene-Demonstrationen. Dabei kam es im August 2020 vor der russischen Botschaft zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Am selben Abend versuchten Dutzende Reichsbürger*innen den Bundestag zu stürmen. An der Aktion waren auch Einzelpersonen aus Brandenburg beteiligt.
Im September 2020 berichteten Medien, dass eine neu eingestellte Stadtplanerin der Gemeinde Brieselang (Landkreis Havelland) der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen sei. Die Person wurde zunächst vom Dienst freigestellt, weitere Informationen wurden nicht öffentlich gemacht.
Aufgrund des Verdachts, eine schwere staatsgefährdende Straftat vorzubereiten, durchsuchten die Behörden im Oktober 2020 in der Uckermark und im angrenzenden Löcknitz (Mecklenburg-Vorpommern) 40 Immobilien von Reichsbürger*innen.
Zugleich bleibt das Milieu seinen althergebrachten Aktivitäten treu: Am 14. November 2020 nahmen 150 bis 200 Personen aus dem rechten und rechtsextremen Spektrum an einer Kundgebung für die „Wiederauferstehung des Deutschen Reichs“ in Potsdam teil. Ohne sich an die geltenden Corona-Schutzmaßnahmen zu halten, wünschten sie sich die Monarchie zurück, trugen Reichskriegsflaggen zur Schau und bearbeiteten auf Schreibmaschinen Anträge auf Fantasieausweise.
Die Brandenburger Polizei registrierte 70 Straftaten von Personen aus dem Reichsbürgermilieu im Jahr 2017, darunter zehn Gewaltdelikte. Neuere Zahlen liegen derzeit nicht vor. Der Brandenburger Verfassungsschutzbericht von 2019 geht von einem erheblichen Gefahrenpotenzial der Bewegung aus.
Andreas Speit, Hardy Krüger
Zum Weiterlesen
• Andreas Speit (Hg.): Reichsbürger. Die unterschätzte Gefahr. Berlin 2017
• Dirk Wilking/Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenberatung (Hg.): „Reichsbürger“. Ein Handbuch. Potsdam 2017