In der Bundesrepublik hat die Gruppe einige Hundert Mitglieder, im Land Brandenburg gehören ihr wenige Dutzend Personen an. Eine führende Rolle im deutschsprachigen Raum hat der Wiener ex-Neonazi Martin Sellner. Die Gruppe ist deutschlandweit in Regionalableger aufgeteilt, zu denen auch eine Gliederung Berlin-Brandenburg zählt. 2017 wurde eine Ortsgruppe Cottbus ins Leben gerufen, die zunächst rege und dann allerdings immer weniger Aktivitäten entfaltete.
Neurechte Propaganda-Agentur
Die Identitäre Bewegung ist ideologisch in der Neuen Rechten verortet, einer seit den 1960er-Jahren existierenden, um intellektuelle Erneuerung bemühten Strömung innerhalb der extremen Rechten. Sie schließt an das rechte, antidemokratische Denken während der Weimarer Republik an und lässt sich als neofaschistisch einordnen. Gleichwohl erfolgt eine Abgrenzung vom Nationalsozialismus und – nicht inhaltlich, aber rhetorisch – auch vom klassischem Rassismus.
Die Identitäre Bewegung führt öffentlichkeitswirksame Aktionen wie Störungen von Veranstaltungen oder symbolische Protestaktionen durch. Das Entrollen eines Transparents auf dem Brandenburger Tor in Berlin im Sommer 2016 war in dieser Hinsicht eine Initialzündung für die Gruppe. Die so erzielte mediale Aufmerksamkeit soll dazu dienen, die Parolen der Gruppe allgemein bekannt zu machen. Wichtige Kampagnenthemen sind die Ablehnung der Aufnahme von Geflüchteten und die Ablehnung des Islams. Es brauche, so die entsprechende Parole, eine „Reconquista“ (Rückeroberung) Europas, für deren Gelingen es auch einer Wiedererlangung der eigenen, weißen und europäischen Identität bedürfe.
„Metapolitik“
Bislang bestand die Neue Rechte vor allem aus einem losen publizistischen Netzwerk. Die Identitäre Bewegung ist ein Versuch, über den engen Rahmen des eigenen Milieus hinaus Wirksamkeit zu erzielen. Nach eigenem Bekunden will die Identitäre Bewegung als ein „Greenpeace von rechts“ wirken, also aus links orientierten sozialen Bewegungen bekannte Methoden der politischen Werbung für die extreme Rechte übernehmen. Die Gruppe hat keine parlamentarischen oder andere klassisch-politischen Ambitionen, sondern will, wie sie es selbst nennt, „metapolitisch“ wirken – ihre antidemokratischen Ansichten sollen in die Köpfe der Menschen Eingang finden.
Der Konzentration der Identitären Bewegung auf ihre Kampagnenthemen Geflüchtete und Islam steht eine weitaus umfassendere politische Agenda gegenüber, die sich vor allem auf die sogenannte Konservative Revolution, eine faschistische Denktradition der Weimarer Republik, beruft. Der Gleichheitsgedanke, Menschenrechte und westlicher Liberalismus werden abgelehnt. Sozial rekrutiert sich die Identitäre Bewegung in erster Linie aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Eine Affinität zum Milieu der Burschenschaften ist auffällig. Neben Aktionsvorbereitungen gehören Lesezirkel, Kampfsportübungen oder Wanderungen zum Innenleben der Gruppe.
Aufstieg und Krise
Die Identitäre Bewegung war zusammen mit den rassistischen Protesten gegen die Aufnahme von Geflüchteten seit dem Jahr 2015 zu ihrer relativen Bedeutung im extrem rechten Milieu gelangt. Als professionalisierende Institution dockte sie an die vielerorts spontan entstandenen Protestinitativen an. Die Gruppe wird insbesondere von der Organisation Ein Prozent materiell und ideell unterstützt. Wichtige Impulse zur Gründung der Gruppe erfolgten aus dem mit Ein Prozent eng verbundenen, privaten Institut für Staatspolitik, das als intellektuelles Zentrum der Neuen Rechten im deutschsprachigen Raum fungiert.
Nach einer hohen Medienpräsenz in der Anfangsphase ist die öffentliche Wahrnehmung der Identitären zurückgegangen. Auch die Frequenz und Qualität der Aktionen ist nicht nur im Land Brandenburg rückläufig, wodurch die Identitären an Anziehungskraft im rechtsextremen Lager verloren haben. Einige für die Identitären wichtige Social-Media-Kanäle – so der Auftritt der Gruppe bei Facebook – wurden wegen wiederholter rassistischer Hetze abgeschaltet, wodurch die publizistische Reichweite der Gruppe empfindlich eingeschränkt wurde.
Zu einem bundesweiten Lager der Organisation kamen im Sommer 2020 in Südbrandenburg gerade einmal rund 50 Personen zusammen.
Verflechtungen mit der AfD
Die Alternative für Deutschland hat Abgrenzungsbeschlüsse gegen die Identitäre Bewegung verabschiedet, weil diese vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Gleichzeitig aber bestehen enge persönliche und politische Verbindungen zwischen der Identitären Bewegung und Teilen der AfD, insbesondere zur AfD-Jugendorganisation Junge Alternative. Im Verständnis vieler Protagonist*innen ergänzen sich die beiden Organisationen – die Partei arbeitet im Parlament, die Identitäre Bewegung auf der Straße. Den Identitären nahe stehende junge Rechsextreme sind bei der Brandenburger AfD tätig, unter anderem als Mitarbeiter der Landtagsfraktion.
Auch zum neonazistischen Lager besteht ein Wechselverhältnis. Einerseits werfen manche Neonazis der Identitären Bewegung ihre Ablehnung des nationalsozialistischen Traditionalismus vor. Andererseits sehen andere Neonazis in der Identitären Bewegung eine Inspiration, da sie originelle und kreative Werbestrategien umsetze. Dementsprechend ahmen Neonazis Ästhetik und Vokabular der Identitären Bewegung nach – in Brandenburg trat etwa eine Gruppe namens „Identitärer Aufbruch“ in Erscheinung. Viele der führenden Identitären-Aktiven im deutschsprachigen Raum haben eine politische Sozialisation in der Neonaziszene durchlaufen.
Zum Weiterlesen
Christoph Schulze: Die „Identitären“ in Brandenburg