Gedenkstätte Sachsenhausen © aa440 | (CC BY-NC-ND 2.0)
Geschichtspolitik von rechts
Die extreme Rechte fällt immer wieder mit Verharmlosungen des Nationalsozialismus und Angriffen gegen Gedenkstätten auf. Geschichtspolitik ist ein zentrales Politikfeld dieses Milieus.
Im Sommer 2018 leugnete im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen ein AfD-Anhänger den Holocaust. Er war Teil einer Gruppe, die über das Bundespresseamt und die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel die Gedenkstätte besuchte. Ein Jahr später, im Oktober 2019, erstattete die Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße 54/55 Anzeige gegen einen AfD-Bundestagsabgeordneten. Bei einem Besuch des früheren NS-Gefängnisses und Gerichts soll er Euthanasie und Zwangssterilisation im Nationalsozialismus verharmlost haben. Am 9. Mai 2020, zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus, wollte das verschwörungsideologische Compact-Magazin in Brandenburg an der Havel eine Tagung über „Verbrechen an Deutschen“ ausrichten. Als Redner angekündigt war unter anderem Martin Hohmann, der wegen einer als antisemitisch kritisierten Rede 2004 aus der CDU ausgeschlossen wurde und inzwischen für die AfD im Bundestag sitzt. Die Veranstaltung wurde wegen der Corona-Krise abgesagt.
Solche Vorfälle sind keine Ausrutscher. Geschichte und Erinnerungskultur stellen bis heute zentrale Politikfelder der extremen Rechten dar. Bezüge auf historische Ereignisse und Personen dienen der Identitätsstiftung dieses weitläufigen und vielfältigen Milieus. Gleichzeitig ermöglichen sie die Selbstinszenierung als vermeintliche Tabubrecher und Verteidiger einer angeblich unterdrückten geschichtlichen Wahrheit und die langfristige Einflussnahme auf gesellschaftspolitische Debatten. In Deutschland steht die Erinnerung an den Nationalsozialismus im Fokus geschichtspolitischer Auseinandersetzungen. Rechte Gruppierungen wenden sich jedoch auch anderen Themen zu, etwa der DDR-Geschichte, der Erinnerung an die koloniale Vergangenheit oder – in Brandenburg – der Glorifizierung preußischer Vergangenheit.
Märtyrerkult und Relativierung von Täterschaft
Neonazis nutzen geschichtspolitische Demonstrationen auf der Straße zur Vernetzung und medialen Inszenierung. Im Raum Berlin-Brandenburg versucht die Szene immer wieder, mit Demonstrationen an Rudolf Heß zu erinnern, Stellvertreter und enger Vertrauter Adolf Hitlers. Heß hatte sich im August 1987 im Kriegsverbrechergefängnis Spandau das Leben genommen. Zum 30. Todestag etwa zogen 250 Neonazis zwei Stunden lang durch das brandenburgische Falkensee, nachdem ihre Anreise nach Spandau verhindert worden war, während in Berlin rund 850 Rechte demonstrierten. Heß wird bis heute als Märtyrer verehrt und sein Tod als Mord durch die Alliierten dargestellt.
Der Fall Heß ist nur ein Beispiel für die Inszenierung deutscher Täter*innen als „eigentliche Opfer“ des Zweiten Weltkriegs. Gezielt wird versucht, Aufmerksamkeit auf angebliche Kriegsverbrechen der vier alliierten Sieger- und Besatzungsmächte (USA, Frankreich, Großbritannien, Sowjetunion) im Zweiten Weltkrieg und nach 1945 zu lenken. Bei einigen Themenfeldern wie der Erinnerung an die Bombardierung deutscher Städte findet die extreme Rechte mit ihren geschichtsrevisionistischen Thesen auch außerhalb der eigenen Szene Aufmerksamkeit.
Leugnung der Shoah und die Idee des „Schuldkult“
Die Umdeutung der Geschichte beinhaltet häufig auch die Relativierung oder gar Leugnung nationalsozialistischer Verbrechen wie der Shoah, der Ermordung von sechs Millionen europäischen Jüdinnen*Juden. Mehrmals versuchten Neonazis in Brandenburg, mit Kundgebungen inhaftierte Holocaustleugner*innen zu unterstützen. Historische Orte der NS-Verbrechen aufzusuchen, anzugreifen oder dort zu provozieren, ist eine weitere, seit Jahrzehnten betriebene Strategie: Beispielsweise verteilten Neonazis im Jahr 1991 Flugblätter in der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück in Fürstenberg/Havel und bedrohten Besucher*innen, 1992 zerstörten rechte Täter*innen mit einem Brandanschlag in der Gedenkstätte Sachsenhausen eine frühere KZ-Baracke. Im Jahr 2014 legten Rechte dort antiziganistische Flugblätter der NPD aus. Der Besuch der Bundespresseamt-Gruppe aus dem Wahlkreis der AfD-Politikerin Alice Weidel in dem ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen im Juli 2018 wurde abgebrochen, nachdem aus der Gruppe Zweifel an der Existenz von Gaskammern geäußert wurden. Ein Teilnehmer wurde später wegen Volksverhetzung und Störung der Totenruhe zu einer Geldstrafe verurteilt.
Die AfD und die sogenannte Neue Rechte distanzieren sich meist von einer eindeutigen und strafrechtlich relevanten Leugnung des Holocaust. Gerade die Neue Rechte fokussiert sich auf eine langfristige Beeinflussung gesellschaftlicher Debatten um die Erinnerungskultur selbst, um die Brücke zwischen konservativen und extrem rechten Akteur*innen zu schlagen. Zentral ist hier die Vorstellung von einem spezifisch deutschen „Schuldkult“, welcher das Land auf der Bühne der Weltpolitik bis heute gezielt moralisch und materiell kleinhalte. Sie greift dabei auf Bilder des sogenannten sekundären Antisemitismus zurück, der die Erinnerung an die Shoah als Angriff auf die deutsche Nation versteht und dafür äußere Mächte verantwortlich macht. Mit rhetorischen Angriffen wie „ausschwitzen“ soll zugleich die öffentliche Debatte beeinflusst werden. Doppeldeutig wird an die Gewalttätigkeit des Nationalsozialismus angeknüpft.
Nationalistische Geschichtsbilder
Explizit findet sich Geschichtspolitik auch im Grundsatzprogramm der AfD aus dem Jahr 2016. Hier wird gefordert, die angebliche „aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus“ aufzuheben und „auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte“ zu betrachten. Diesen Forderungen liegt letztlich ein nationalistisches Geschichtsverständnis zugrunde und sie werfen die Frage nach Überschneidungen mit bekannten rechtsextremen Vorstellungen auf. Geschichte dient hier nicht der Hinterfragung gesellschaftlicher Entwicklungen, sondern der Bestärkung nationaler Identität. So ist auch die Forderung der Brandenburger AfD im Landtagswahlkampf 2019 zu verstehen, das durch Militarismus und nicht-demokratische Entscheidungsprozesse geprägte Preußen „als Vorbild für die erfolgreiche Gestaltung unserer gemeinsamen Zukunft wiederaufleben“ zu lassen. Gleichzeitig zeichnen Wahlkampf-Slogans wie „Hol dir dein Land zurück – Vollende die Wende“ (AfD Brandenburg) ein Bild der aktuellen Bundesrepublik als einem Staat, in dem die Bevölkerung ähnlicher Unterdrückung ausgesetzt sei wie in der späten DDR – und den es daher ebenfalls zu überwinden gelte. Es zeigt Anklänge an ein Politik- und Gesellschaftsverständnis auf, das nationalistische Gruppierungen als einzig legitime Vertretung eines Volkes und seiner vermeintlich historisch-kulturellen Substanz ansieht. Nicht nur der Sozialismus der DDR, sondern auch ein liberales politisches System wie die Demokratie werden als fremdartig und von außen aufgezwungen betrachtet.
Gremien- und Ausschusstätigkeiten
Langfristigen Einfluss versuchen rechte und rechtsextreme Politiker*innen in Ausschüssen und Stiftungsgremien zu gewinnen, die über Fördergelder und inhaltliche Ausrichtung im Bereich der Geschichtspolitik entscheiden. Nach der Landtagswahl in Brandenburg stand im Dezember 2019 beispielsweise der AfD-Politiker Christoph Berndt zur Wahl für den Vorsitz des Wissenschafts- und Kulturausschusses im Potsdamer Landtag. Berndt ist auch Vorsitzender des flüchtlingsfeindlichen Vereins Zukunft Heimat aus Cottbus, der Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen hat.
Vertreter*innen aus verschiedenen Brandenburger Stiftungen, historischen Forschungseinrichtungen und auch dem Internationalen Sachsenhausen Komitee als Vertretung der Überlebenden des KZ Sachsenhausen hatten vor einer Wahl des AfD-Kandidaten mit einem offenen Brief an Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke gewarnt: „Für die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer in aller Welt ist es von immenser Bedeutung, dass sich der Ausschuss und insbesondere der Vorsitz mit aller Entschiedenheit gegen Hass und die Diffamierung von Minderheiten richten und jedem Versuch der Verharmlosung von NS-Verbrechen entgegenstellen.“ Bislang haben die anderen Brandenburger Parteien noch keinen AfD-Kandidaten zum Vorsitzenden des zuständigen Ausschusses gewählt. Es bleibt offen, ob eine solch klare Abgrenzung zu rechter Geschichts- und Kulturpolitik im Landtag wie auch in den Kommunen dauerhaft bleibt.
Zum Weiterlesen:
Hans-Peter Killguss, Martin Langebach (Hrsg.): „Opa war in Ordnung!“ Erinnerungspolitik der extremen Rechten, Köln 2016
Martin Langebach, Michael Sturm (Hrsg.): Erinnerungsorte der extremen Rechten, Wiesbaden 2014.
Christoph Kopke (Hrsg.): Angriffe auf die Erinnerung an nationalsozialistische Verbrechen. Rechtsextremismus in Brandenburg und die Gedenkstätte Sachsenhausen, Berlin 2014.