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Erinnern ist politisch – Ein Gespräch mit Engagierten in MOL
Das Ende des Nationalsozialismus in Deutschland liegt 80 Jahre zurück. Gedenkstätten, Politik, Verwaltung und viele lokale Initiativen erinnern alljährlich zum 8. Mai an die Verbrechen des Nationalsozialismus und gedenken den Opfern.
Im Land Brandenburg gibt es eine vielfältige zivilgesellschaftliche Erinnerungskultur. Doch es kommt auch zu Anfeindungen und sogar zu Angriffen auf Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus.
Am 27. Januar 2025 wurde bei einer Gedenkveranstaltung an die Opfer des Nationalsozialismus in Strausberg die Rede von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) Märkisch-Oderland von einem Lokalpolitiker der AfD unterbrochen. Nach der Veranstaltung kam es außerdem zu einer Bedrohung mit einem Messer durch einen weiteren Parteikollegen. Über die Auswirkungen bis heute sprechen wir mit Nils Weigt von der VVN-BdA Märkisch-Oderland und Tom Kurz vom Strausberger sozialem Zentrum Horte und der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt (BOrG).
Wie betrachtet ihr die Störung der Gedenkveranstaltung und die Bedrohung im Nachgang?
Nils Weigt: Wir haben uns damit auf drei Ebenen beschäftigt. Als erstes auf der emotionalen Ebene: Wir haben unmittelbar nach dem Vorfall Kontakt zur Opferperspektive aufgenommen. Und wir haben und als Kreis der Personen, die den Angriff miterlebt haben, mehrmals getroffen und die Geschehnisse ausgewertet.
Als zweites haben wir eine sehr aktive Pressearbeit gemacht. Es gab ein Interview in der taz und in einer Lokalzeitung, das auch von anderen Medien aufgegriffen wurde. Wir haben den Vorfall immer wieder vor Ort thematisiert. Das war gut, denn dadurch hat das Thema die nötige Aufmerksamkeit bekommen. Die Rede hatte sich ja an einer Analyse vom Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Jens Christian-Wagner, orientiert über die Wahlprogramme bezüglich der Geschichtspolitik, als die Rede unterbrochen wurde.
Und zum Dritten haben wir darüber diskutiert, wie wir in Zukunft damit umgehen wollen. Da geht es natürlich darum, dass wir uns nicht klein machen lassen wollen. Aber gleichzeitig ist es uns wichtig, anders an Veranstaltungen heranzugehen und auch Sicherheitsaspekte stärker zu beachten.
Die Veranstaltung wurde ja mit der Stadt organisiert. Wie haben sich Stadtpolitik und Verwaltung dazu verhalten? Wie die AfD?
Tom Kurz: Nach den Kommunalwahlen im vergangenen Juni ist die AfD noch mal stärker geworden und hat sich professioneller aufgestellt. Das merkt man auch daran, dass es ihr wichtig ist, zu öffentlichen Veranstaltung eingeladen zu werden, sich den Raum zu nehmen und zu vermitteln: „Wir sind eine ganz normale Partei.“ Bei der ersten Stadtverordnetenversammlung nach dem 27. Januar haben wir versucht, Druck auf die Abgeordneten aufzubauen, um eine Positionierung zu erreichen. In der Einwohnerfragestunde wollte die VVN u.a. von allen Parteien wissen, ob sie es okay fänden, wenn bei einer Gedenkveranstaltung aus ihrem Wahlprogramm zitiert würde. Dadurch wollten wir an die moralische Instanz appellieren. Das ist nach hinten losgegangen. Es gab eine komplette Täter-Opfer-Umkehr. Die VVN sei Schuld an der Eskalation, denn es sei eine zu politische Rede gewesen und man habe die Opfer vergessen und so weiter. Es gab durch die Bank jede Menge Vorwürfe. Und auch die AfD hat das Wort ergriffen und die Antwortzeit stark überzogen, ohne die eigentliche Frage zu beantworten. Doch Ordnungsrufe gab es nicht gegenüber der AfD, sondern gegenüber der VVN-BdA. Das war auf jeden Fall ein herber Rückschlag.
Zusätzlich hat die Bürgermeisterin zum 8. Mai gesagt, dass sie nach den Geschehnissen am 27. Januar jetzt als Stadt damit überfordert sei und sich da erst mal raushält. Umso überraschender ist es nun, dass die Stadt vor wenigen Tagen zu einer eigenen Gedenkveranstaltung alle Fraktion der SVV einschließlich der AfD eingeladen hat, die VVN-BdA, die das Gedenken als Opferverband in den vergangenen Jahren organisiert hat, allerdings nicht.
Habt ihr das Gefühl, dass sich seit dem Wahlerfolg der AfD die Erinnerungskultur im Landkreis verändert hat?
Nils Weigt: Meine Einschätzung ist, dass Erinnerungs- und Gedenkkultur weniger unter Beschuss steht, sondern jetzt vielmehr eine starke Entpolitisierung des Themas einsetzt. Aus der Mahnung und der Erinnerung erfolgt keine Verantwortung für die heutige Politik. Es ist ein Termin, der abgehakt wird. Wir werden es spätestens am 8. Mai sehen, wie die Stadt damit umgeht.
Tatsächlich ist es so, dass es in den letzten Jahren vor allem wir waren, die öffentlichkeitswirksam etwas zum Thema Nationalsozialismus gemacht haben. Also nicht nur wir, es gibt zum Beispiel auch die Jugendgeschichtswerkstatt vom humanistischen Regionalverband. Aber von der Stadt kommt da nichts. Mich hat es getroffen, dass es in der SVV von Seiten der SPD hieß, wir würden uns nicht um die Opfer kümmern und nur unsere politische Linie durchdrücken wollen. Das verkennt die gesamte Arbeit der letzten Jahre.
Tom Kurz: In den letzten Jahren haben wir zusammen mit der Stadt das Gedenken an Hans-Georg Jakobson organisiert. Hans-Georg Jakobson wurde 1993 von Neonazis in Strausberg ermordet. Für ihn gibt es jetzt auch einen Gedenkstein. Da hat die Kooperation mit der Stadt am Schluss total gut funktioniert und mehrere Stadtverordnete haben sehr gute und politische Reden gehalten. Es wurde auch beschlossen, dass die Stadt quasi die Verantwortung für das Denkmal übernimmt und bei Schäden für Reparaturen aufkommt. Das war ein großer politischer Erfolg.
Gibt es noch weitere Projekte von euch? Mit wem arbeitet ihr zusammen und welche Leerstellen seht ihr vielleicht auch?
Nils Weigt: Wir sind bei der VVN-BdA MOL ein sehr kleiner Haufen, was wirklich schade ist. Was wir aber jetzt schon seit drei Jahren machen, ist der Arbeitskreis Wulkow: Bei Neuhardenberg befand sich ein Außenlager des Ghettos Theresienstadt, zu dem wir eine Onlineausstellung erarbeitet haben. Mit unserem von der VVN getragenen Arbeitskreis, in dem auch Nicht VVN-Mitglieder aktiv sind, haben wir noch viel vor in den nächsten Jahren und wollen das antifaschistische Gedenken im ländlichen Raum stärken und im Ort auch einen physischen Gedenkort schaffen.
Tom Kurz: Als BOrG machen wir viel mit der VVN zusammen zur Erinnerung an die Todesopfer rechter Gewalt nach 1990. In Märkisch-Oderland gibt es drei Todesopfer. Neben Hans-Georg Jakobson wurde 1997 Phan Văn Toàn angegriffen und tödlich verletzt. Dazu gibt es eine Gedenkinitiative und eine sehr gute Zusammenarbeit mit Korientation. Das dritte Todesopfer ist Ronald Masch, er wurde 2001 von Neonazis ermordet. Seine Eltern möchten nicht, dass es öffentliches Gedenken gibt. Deswegen weisen wir lediglich ab und an darauf hin, dass er auch ein Todesopfer rechter Gewalt ist.
Aus meiner Perspektive sind Gedenkstättenfahrten in Kooperation mit Schulen eine Lehrstelle. Wir haben vor sechs Jahren eine Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz zusammen mit der Heinrich-Böll-Stiftung gemacht. Es gab immer wieder den Plan, das zu wiederholen oder sogar jährlich anzubieten. Das fände ich total gut, auch um einen anderen Zugang zu Schüler*innen zu bekommen und sie für Geschichte und Politik zu sensibilisieren.
Nils Weigt: Die ganze Erinnerungsarbeit zu Wulkow hat 1995 ihren Anfang genommen. Der RAA e.V. lud Überlebende ein und organisierte jüdische Kulturtage in Strausberg mit einer Ausstellung in der Stadtverwaltung. Strausberg und Terezin, also die heutige Gemeinde, in der sich die Gedenkstätte Theresienstadt befindet, sind Partnerstädte. Diese Partnerschaft wird aber aktuell durch nichts gefüllt. Hier anzuknüpfen, wäre eigentlich wichtig – zum Beispiel in Form einer Gedenkstättenfahrt.
Noch eine Frage zum Horte. Seit letztem Jahr gibt es ja immer mehr Angriffe durch Rechtsextreme auf Jugendclubs oder Wohnprojekte in Brandenburg. Was bedeutet das für euch?
Tom Kurz: Wir haben zwar mit Anfeindungen zu kämpfen, aber lange noch nicht in dem Ausmaß wie bei den jüngsten Angriffen andernorts. Wir sind direkt in der Nachbarschaft zu einer Oberschule und eigentlich vergeht gerade kaum ein Tag, an dem es dort nicht irgendeinen Zwischenfall gibt: von rechten Stickern am Haus oder in der Umgebung über Pöbeleien bis hin zu Hitlergrüßen. Das ist schon sehr massiv. Wir wurden auch schon von sehr jungen und gewaltaffinen Jugendlichen bedroht.
Wir merken, dass die klassischen zivilgesellschaftlichen Handlungsmethoden langsam an ihre Grenzen kommen. Wir haben eine sehr gute Kooperation mit der Schule, aber das ist gerade so massiv, dass die Schule auch sagt, sie habe es kaum noch im Griff.