Aktionsbündnis Brandenburg
Doppelt so viele Todesopfer
In Brandenburg sind laut einer Studie des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums seit 1990 sehr viel mehr Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen, als bisher offiziell angenommen wurde.
Aktionsbündnis Brandenburg
In Brandenburg sind laut einer Studie des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums seit 1990 sehr viel mehr Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen, als bisher offiziell angenommen wurde.
Das Moses Mendelssohn Zentrum hat im Auftrag der Landesregierung zwei Jahre lang Akten und andere Quellen zu mutmaßlichen rechten und rassistischen Tötungsdelikten in Brandenburg studiert. Nun wurde das Ergebnis der Untersuchung vorgestellt. Ergebnis: Das Land wird nun neun weitere Fälle als einschlägig politisch motiviert einstufen. Die landesoffizielle Zahl der Todesopfer verdoppelt sich somit von bisher 9 auf 18.
Politik, Polizei und Justiz hätten besonders massiv in den 1990er Jahren rechte Gewalt nicht richtig wahrhaben wollen, sagte MMZ-Forscher Christoph Kopke bei der Studienvorstellung. In fast allen der 24 untersuchten Fälle seien die Täter in rechtsextremen Milieus angesiedelt gewesen. Kopke kritisierte, dass bei polizeilichen Ermittlungen und in den Gerichtsverfahren die Tatmotivation oft unzureichend thematisiert wurde. Nur in wenigen der untersuchten Fälle sei eine einschlägige Motivation auszuschließen. Einige konnten nicht abschließend bewertet werden, weil keine zureichenden Quellen zu finden waren.
Eine unabhängige Untersuchung der offenen Fälle wurde seit vielen Jahren von zivilgesellschaftlichen Kräften, allen voran von der Beratungseinrichtung Opferperspektive, gefordert. Heilgard Asmus, damals Vorsitzende des Aktionsbündnisses, hatte 2012 ebenfalls eine Untersuchung angemahnt. Damit ging sie auf die Recherchen des Tagesspiegel-Reporters Frank Jansen und der Fachjournalistin Heike Kleffner ein, die Versäumnisse im Umgang mit rechten Straftaten aufgedeckt hatten. Wenig später beauftragte der damalige Innenminister Dietmar Woidke das MMZ, eine Studie anzustellen.
Das Projekt „Überprüfung umstrittener Altfälle Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg“ wurde von Dr. Christoph Kopke und Gebhardt Schultz durchgeführt. Es wurde von einem Beirat begleitet, dem auch ein Vertreter der Aktionsbündnisses Brandenburg angehörte. Beteiligt waren zudem die Opferperspektive, das Innenministerium, das Landeskriminalamt, die Fachhochschule der Polizei, die Generalstaatsanwaltschaft, die Landesintegrationsbeauftragte, das Brandenburgische Institut für Gemeinwesenberatung und die Amadeu Antonio Stiftung. Bei 8 der 24 Fälle hatte das MMZ eine einschlägige Motivation festgestellt. Ein weiterer, nun anerkannter Fall wurde vom MMZ nicht untersucht, er geht dennoch in die neue Zählung ein. Die rassistische Motivation des Falles von 1993 in Belzig war unstrittig, bisher fehlte er in der Zählung nur aus formalen Gründen. Das Opfer war erst längere Zeit nach dem Angriff an den Tatfolgen verstorben.
Nach der Veröffentlichung der Studie erklärte Judith Porath, Geschäftsführerin der Opferperspektive: „Für viele Hinterbliebene war die unabhängige Überprüfung ein bedeutender Schritt. Endlich wurde versucht, die offene Frage nach dem Warum zu klären.“
Nun werden unabhängige Untersuchungen auch in anderen Bundesländern gefordert.
Eine PDF-Datei mit den Studienergebnissen kann auf der Internetseite des MMZ heruntergeladen werden. Die Opferperspektive betreibt eine Webseite, auf der Informationen zu den Todesopfern und zu weiteren Verdachtsfällen eingesehen werden können.
Vom Land Brandenburg anerkannte Todesfälle
1990: Amadeu Antonio Kiowa, Eberswalde
1990: Andrzej Frątczak, Lübbenau (neu anerkannt)
1991: Timo Kählke, Meuro
1991: Gerd Himmstädt, Hohenselchow (neu anerkannt)
1991: Wolfgang Auch, Schwedt (neu anerkannt)
1992: Rolf Schulze, Schönefeld
1992: Emil Wendland, Neuruppin (neu anerkannt)
1993: Horst Hennersdorf, Fürstenwalde (neu anerkannt)
1993: Belaid Baylal, Belzig (neu anerkannt)
1996: Sven Beuter, Brandenburg/Havel
1997: Augustin Blotzki, Königs Wusterhausen
1997: Erich Fisk , Angermünde (neu anerkannt)
1997: Mathias Scheydt, Cottbus (neu anerkannt)
1999: Farid Gouendoul, Guben
2000: Falko Lüdtke, Eberswalde (neu anerkannt)
2001: Dieter Manzke, Dahlewitz
2002: Marinus Schöberl, Potzlow
2008: Bernd Köhler, Templin