© Presseservice Rathenow
Freie Nationalisten
Als Freie Nationalisten bezeichnen sich Neonazis, die sich bewusst außerhalb extrem rechter Parteien in lokalen Gemeinschaften organisieren.
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Als Freie Nationalisten bezeichnen sich Neonazis, die sich bewusst außerhalb extrem rechter Parteien in lokalen Gemeinschaften organisieren.
In ihnen sind jeweils bis zu 20 Neonazis organisiert, die sich, je nach Selbstverständnis, als Freie Kameradschaft, Freie Kräfte, Autonome Nationalisten, Antikapitalistisches Kollektiv, Bruderschaft usw. bezeichnen.
Freie nationalistische Strukturen gibt es in Brandenburg seit den 1990er-Jahren. Sie sind in allen Regionen des Landes aktiv. In der Regel handelt es sich um unabhängig voneinander aktive Gemeinschaften mit vereinsähnlicher Struktur, lose Gruppierungen bzw. Freundeskreise mit aktionistischer Ausrichtung oder von Einzelpersonen gesteuerte, internetbasierte Projekte. Sie agieren lokal und fühlen sich häufig ihrer nahen Umgebung verpflichtet.
Einige Gruppierungen haben gleichwohl eine überregionale Bedeutung erlangt. Im Süden Brandenburgs riefen die „Spreelichter“ durch gespenstisch wirkende, unangemeldete Aufzüge Maskierter Aufmerksamkeit hervor. Die medienwirksamen Aktionen richteten sich gegen einen „Volkstod“, für den sie die Demokratie verantwortlich machten. Die offiziell als Widerstandsbewegung Südbrandenburg bezeichnete Gruppierung wurde 2012 verboten. Im Nordwesten des Landes organisieren die Freien Kräften Neuruppin – Osthavelland regelmäßig Kundgebungen und Aufmärsche, an denen 20 bis 30 Personen teilnehmen. Zu dem von der Gruppe ausgerichteten „Tag der deutschen Zukunft“ im Juni 2015 in Neuruppin kamen etwa 500 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet.
NS-Verherrlichung
Freie Nationalisten beziehen sich offen positiv auf nationalsozialistische Akteure, wie Horst Wessel und Rudolf Heß, sie glorifizieren NS-Organisationen, wie die Wehrmacht und die Waffen-SS, und sie führen Traditionen aus der Zeit der Nationalsozialismus fort, insbesondere begehen sie Feiertage, wie den „Heldengedenktag“, die Sonnenwendfeiern oder Hitlers Geburtstag.
Eine Organisationshierarchie mit zentraler Führungsebene ist unter Freien Nationalisten nicht gewollt. Gleichwohl sind sie untereinander gut vernetzt. Unter dem Aktionsbegriff „Nationaler Widerstand“ öffneten sich auch extrem rechte Parteien, wie die NPD, diesen Netzwerken. Eine tatsächliche Zusammenarbeit existiert jedoch nur ansatzweise. Freie nationalistische Strukturen handeln eher wie soziale Bewegungen. Ihr Auftreten ist aktions- und erlebnisorientiert. Rechtsbrüche werden nicht nur in Kauf genommen, sondern bewusst provoziert. Eine „seriöse Radikalität“, mit der sich die NPD aus taktischen Gründen bemäntelt, findet hier kaum Anhang.
In den freien nationalen Strukturen finden sich vielfach gewaltaffine, häufig vorbestrafte Neonazis sowie rechte Hooligans. Manche Freie Nationalisten schulen sich in Kampfsportvereinen, veranstalten Geländeübungen und betreiben Wehrsport. Aufmärsche mit Beteiligung Freier Nationalisten wirken durch deren aggressives Auftreten mitunter bedrohlich. Immer wieder kommt es bei öffentlichen Auftritten auch zu gewalttätigen Übergriffen. Einer polizeilichen Verfolgung derartiger Straftaten versuchen Freie Nationalisten durch die Bildung von „schwarzen Blöcken“ zu begegnen.
Autonome Nationalisten knüpfen an Aktionskonzepte der linksautonomen Szene an und kopieren deren Kleidungsstil. Offen propagieren sie die Unterwanderung von Subkulturen. Ideologisch rücken dadurch bisher linke Themen, wie Antikapitalismus und Globalisierungskritik, die mit völkischen Elementen ergänzt werden, in den Fokus. Dass sich neonazistische Antikapitalistische Kollektive an Protestaktionen der linken Szene beteiligen, blieb jedoch bisher die Ausnahme. Autonome Nationalisten aus Brandenburg, wie die Aktionsgruppe Nord-Ost / Freie Kräfte Ost aus Wittstock/Dosse oder N.S Havelland aus Rathenow, beteiligen sich in erster Linie an asylfeindlichen Aufzügen.
Ein Etikettenschwindel ist auch bei sogenannten Bruderschaften festzustellen. Diese Neonazis kopieren den Habitus von „Outlaw Motorcycle Gangs“ und sind meist an den entsprechenden Lederkutten zu erkennen. Auch die Organisationshierarchie der Bruderschaften, vom „President“ bis zu den „Prospects“ genannten Anwärtern, ist Rockergruppen nachempfunden; sie soll den inhaltlichen Zusammenhalt festigen und helfen, einen elitären Kreis zu formen. Solche Bruderschaften sind keineswegs unpolitisch. So beteiligen sich die Barnimer Freundschaft oder die AO Strausberg an Versammlungen der NPD oder asylfeindlichen Aufzügen. Ein weiteres Betätigungsfeld liegt, wie bei der Crew 38, die dem internationalen Neonazi-Netzwerk Hammerskin Nation nahesteht, in der Organisation von Rechtsrockveranstaltungen.
Zwiespältiges Verhältnis: NPD und Kameradschaften
Das Verhältnis Freier Nationalisten zu extrem rechten Parteien ist zwiespältig. Zwar hat die NPD immer wieder freie Nationalisten in ihre Reihe aufgenommen, als Kandidat*innen bei Kommunalabstimmungen antreten lassen und als gewählte Mandatsträger*innen in die Parteipolitik eingebunden. So wechselte Michel Müller mit weiteren Aktivisten nach dem Verbot der Rathenower Kameradschaften Hauptvolk und Sturm 27 zur NPD, für die er in Kommunalparlamenten sitzt. Derartige Karrieren sind keine Ausnahmeerscheinungen: Der Neuruppiner NPD-Stadtverordnete Dave Trick gehört auch den Freien Kräfte Neuruppin-Osthavelland an. Robert Wolinski von den Märkischen Skinheads 88 sitzt für die Nationaldemokraten in der Stadtverordnetenversammlung von Velten.
Eine parlamentarische Arbeit wird aber eher misstrauisch beäugt. Traditionell betonen die Freien Nationalisten ihre Unabhängigkeit von Parteien. Die weniger formalisierten Strukturen sollen, so die von den Hamburger Neonazis Christian Worch und Thomas Wulff bereits Mitte der 1990er-Jahre formulierte Idee, weniger Angriffsfläche für staatliche Interventionsmaßnahmen bieten. Allerdings wurden allein in Brandenburg bereits acht freie nationalistische Strukturen nach dem Vereinsrecht verboten, zuletzt die Widerstandsbewegung Südbrandenburg 2012. Andere kamen einem drohenden Verbot zuvor und lösten sich selbst auf, wie 2010 die Kameradschaft Märkisch-Oder-Barnim (KMOB). Diese organisiert sich nun innerhalb der Partei Die Rechte unter der Bezeichnung Kreisverband Märkisch-Oder-Barnim (KMOB).
Durch Begründung immer neuer Label oder partiellen Partnerschaften mit extrem rechten Parteien konnten freie nationalistische Strukturen ihre Kampagnenfähigkeit erhalten, wenn diese auch geringer ist als noch vor einigen Jahren. Kontinuierlich werden Aktionen mit historischen Bezügen, wie das Gedenken an Bombardierungen während des Zweiten Weltkriegs, durchgeführt. Proteste gegen solche Versammlungen haben die Teilnehmerzahlen jedoch deutlich fallen lassen.
Den Wegfall vieler Sympathisierender versuchen einige freie nationalistische Strukturen durch einen Ausbau der überregionalen Vernetzung zu kompensieren. Nicht selten füllen, selbst bei lokal konzipierten Versammlungen mit 20-30 angemeldeten Teilnehmenden, angereiste Neonazis die lichten Reihen. Dieser Austausch beruht dann zumeist auch Gegenseitigkeit. Freie Nationalisten aus Brandenburg sind beispielsweise regelmäßig beim Dresdner „Trauermarsch“ anlässlich des Jahrestages der Bombardierung im Februar und den immer wieder in unterschiedlichen Bundesländern stattfindenden Aufzügen am ersten Mai zu sehen.
Unterstützung und einen gewissen Zulauf konnten Freie Nationalisten in jüngster Zeit nur erreichen, wenn sie ihre Gesinnung verbargen und sich als „besorgte Bürger“ inszenierten, die gegen die Unterbringung Geflüchteter protestierten.