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Corona als Verschwörungsmythos
Seit der weltweiten Ausbreitung des Corona-Virus wurden strenge Beschränkungen des öffentlichen Lebens erlassen – auch in Deutschland. Gleichzeitig haben Verschwörungsmythen Hochkonjunktur. Die extreme Rechte versucht, die Lage für ihre Zwecke zu nutzen.
Fast so schnell, wie sich das Corona-Virus über den Globus verteilt, verbreiten sich im Internet und in rechten Medien Verschwörungsmythen um die Herkunft und die vermeintlichen Verursacher*innen. Nicht alle Anhänger*innen dieser Thesen sind rechtsextrem. Und doch bieten gerade Verschwörungsmythen verschiedene Anknüpfungspunkte für die extreme Rechte.
Wie die Extremismusforscherin Julia Ebner betont, ist es gerade in Krisensituationen leichter, Menschen mit extremen Ideologien und Verschwörungsmythen zu überzeugen. Sie wirken bei diffusen Bedrohungslagen entlastend, weil sie einen Feind konkret und greifbar machen, erklärt der Leipziger Sozialpsychologe Oliver Decker. Trotz der Bedrohung entstehe so ein Gefühl von Sicherheit und gebe es einen Adressaten, gegen den sich Ärger und Wut richten können.
Besonders die sozialen Medien bieten einen vereinfachten Zugang für Verschwörungsideolog*innen. Mit dem Ausbruch des Corona-Virus haben sie ein neues Thema gefunden. Erfahrene Medienaktivist*innen aus den Reihen der Identitären Bewegung, aber auch rechte Publizist*innen haben eine große Reichweite. Durch die Nutzung des Hashtags #coronavirus oder #stayathome erreichen sie auch Menschen, die sonst nicht zu ihren Zuhörer*innen gehören.
Es ist typisch für Verschwörungsmythen, dass es nicht nur eine Erklärung gibt. Oftmals tauchen mehrere Theorien auf, die sich teils gravierend widersprechen. Gleich mehrere Gruppen werden dafür verantwortlich gemacht, das Virus zu verbreiten oder für dessen Herstellung verantwortlich zu sein. Besonders oft liegen diesen Thesen Antisemitismus und Rassismus zugrunde.
Antisemitismus
Der Antisemitismus spielt bei den Verschwörungsmythen um Covid-19 eine zentrale Rolle. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit tauchen Erzählungen auf, wonach dunkle Kräfte im Hintergrund für die Ausbreitung des Virus verantwortlich seien. Die Chiffren, die dabei verwendet werden, erinnern an andere antisemitische Muster. Eine weit verbreitete Annahme sieht den Ursprung nicht in Asien, sondern in Geheimdienstlaboren in den USA, wo das Virus als Kampfstoff entwickelt worden sei. Auftraggeber*innen seien demnach Jüdinnen*Juden, die Corona gezielt auf der Welt verbreiten würden. Das sei der Grund, warum Israel angeblich am wenigsten von dem Virus betroffen sei. Laut einiger Verschwörungsideolog*innen habe die Regierung Israels sogar schon einem geheimen Impfstoff entwickelt und ihre Bevölkerung geschützt. Dem Rest der Welt werde dieser jedoch vorenthalten.
Unter militanten Neonazis wird die Vorstellung eines „Angriffskriegs“ verbreitet, der vornehmlich durch westliche Machteliten und Jüdinnen*Juden herbeigeführt worden sei. Ziel sei es, die Bevölkerung systematisch zu dezimieren und die Welt zu regieren. Begriffe wie „Volkstod“ und „der große Austausch“, die in der neonazistische Szene weit verbreitet sind, werden hierfür herangezogen.
Rassismus
Neben Antisemitismus werden Flucht und Migration häufig als Erklärung für die Verbreitung des Virus benannt. So sollen Geflüchtete Corona aus Syrien und Nordafrika nach Europa gebracht haben. Italien sei deshalb so stark betroffen, weil dort ein Großteil der Menschen, die über das Mittelmeer flüchteten, zum ersten Mal den Kontinent erreichten. Es wird ein Zusammenhang zwischen Fallzahlen und der Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten behauptet. Deswegen seien Länder wie Spanien oder Deutschland stärker betroffen als Länder im Osten Europas.
AfD-Politiker*innen wie der migrationspolitischer Sprecher der Brandenburger AfD-Fraktion Steffen John teilen Aussagen, wonach „wilde Zuwanderung“ und „ungesteuerte illegale Migration“ trotz Corona weiter zunehmen würden. Parteichef Jörg Meuthen verbindet die angeblich fehlenden Schutzmaßnahmen gegen Corona mit der Behauptung, die Regierung schütze die Grenzen nicht, und warnt vor „drohender Masseneinwanderung“.
Unbegründete Verharmlosungen
Viele Verschwörungsideolog*innen sprechen von völlig übertriebenen Maßnahmen. Doch unbegründete verharmlosende Aussagen beschränken sich nicht auf den rechten Rand. Die ehemalige CDU-Abgeordnete Vera Lengsfeld fragt, ob Corona „mehr Panikmache als Gefahr“ sei. Zeitweilig rief sie auf Twitter auf, eine Petition zu unterzeichnen, die „bürgerlichen Freiheiten“ wiederherzustellen. Ihr Tweet wurde inzwischen gelöscht. Der ehemalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen teilte ihre ursprünglichen Aussagen. Wolfgang Wodarg, früherer SPD-Politiker, verharmlost Covid-19 bereits seit dem ersten Auftreten in Deutschland als normale Grippe. Eine Plattform bieten ihm u.a. bekannte Verschwörungsideolog*innen wie Eva Herman. Dass er Arzt ist, macht seine Aussagen für viele Menschen glaubwürdiger. Christoph Berndt, AfD-Landtagsabgeordneter im Brandenburger Landtag, gibt ebenfalls wieder, Covid-19 sei eine „milde Erkrankung“.
Der AfD in Brandenburg ist es nicht gelungen, eine einheitliche politische Linie zu dem Thema zu entwickeln. Forderungen einzelner AfD-Politiker*innen sind teils rassistisch, teils viel zu spät angesichts dessen, was bereits durch die Landesregierung beschlossen wurde. Hat Landeschef Andreas Kalbitz Corona noch als „Hysterie“ bezeichnet, gehen die Maßnahmen seinen Parteikollegen Falk Jahnke und Wilko Möller nicht weit genug. Sie werfen der Regierung katastrophales Krisenmanagement vor. Mit der Forderung nach Ausrufung des Katastrophenfalls sind beide jedoch allein in ihrer Partei.
Neonazis sehnen sich nach dem „Tag X“
Vor allem Neonazis behaupten, ein „Tag X“ stehe kurz bevor. Diesen Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung sehnen sie herbei und versuchen ihn zu beschleunigen und zu beeinflussen. Karl Richter von der NPD sieht einen „Höllensturz des Regimes und seiner europäischen wie transatlantischen Hintermänner“ kommen. Diese antisemitisch konnotierte Verschwörung verfolge „satanische Ziele – die Entrechtung, Enteignung und Dezimierung der einheimischen Bevölkerung“. Solche Überlegungen sind allerdings kein rein deutsches Phänomen. Weltweit, besonders in den USA und in Europa, tauschen sich Rechte von der Identitären Bewegung bis zu Neonazis der „Atomwaffen-Divison“ aus, wie sie die Krise nutzen könnten.
Die Sicherheitsbehörden sehen durch die aktuelle Krise die Gefahr von extrem rechten Anschlägen als besonders hoch. Auch die Bundesregierung befürchtet eine Zunahme rechter Gewalt. Was als verharmlosende Äußerungen im Internet oder wirre Theorien daherkommt, befördert nicht selten antisemitische, rassistische und extrem rechte Stimmungen. Wie gefährlich diese sind, zeigen die Anschläge von Hanau, Halle und viele weitere rechtsextreme Gewalttaten der letzten Monate.
Zum Weiterlesen und -hören:
Patrick Gensing: Weniger gefährlich als die Grippe? ARD-faktenfinder, 29.3.2020.
Frank Jansen: Wie Rechtsextreme in der Coronakrise zündeln. Tagesspiegel, 27.3.2020.
Frank Jansen: Wie Rechte das Coronavirus zur Hetze gegen Flüchtlinge benutzen. Störungsmelder, 9.3.2020.
Sven Kames: AfD: Nichts zu sagen zur Corona-Krise. Magazin der rechte rand, Ausgabe 183, März/April 2020.
Podcast: Die „Wahrheit“ in Zeiten von Corona. Verschwörungstheorien und Mythen rund um das Virus. Bundeszentrale für politische Bildung, 2020.