Wir haben uns daher die Kandidat*innen genauer angesehen: Gibt es Hinweise auf demokratiefeindliche, rassistische oder antisemitische Einstellungen? Bis zu den Wahlen werden wir uns in regelmäßigen Abständen verschiedenen Themenbereichen widmen.
Rechte propagieren den Systemwechsel
Rechte Parteien behaupten gerne, den „Volkswillen“ zu repräsentieren und die eigentlichen Kämpfer*innen für die Demokratie zu sein. Doch wie demokratisch sind denn eigentlich ihre Positionen? In welchem Verhältnis sehen sie sich zu unserer demokratisch verfassten Gesellschaft?
„Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Demokratie zu zerstören“, erklärte Remo Kudwien von der rechtsextremen NPD-Jugendorganisation Junge Nationalisten im November 2018 bei einer Veranstaltung in Kiew. Gegenwärtig kandidiert Kudwien, der auch an dem rechten Onlineportal für „Metapolitik“ gegenstrom.org beteiligt ist, in Luckenwalde für den Kreistag Teltow-Fläming.
Einige AfD-Kandidaten scheinen keine ausgeprägten Berührungsängste mit der NPD zu haben. So gefällt Ralf Maasch, AfD-Kandidat für die Stadtverordnetenversammlung von Rathenow, auf Facebook nicht nur die Seite des NPD-Politikers Ronny Zasowk. Er teilt und verbreitet darüber hinaus ein Video von „Ungetrübt Media“, in dem zur Europawahl für die NPD geworben sind. Auf der Seite von „Ungetrübt Media“ wird auch für andere rechte Parteien geworben, so findet sich dort zum Beispiel ein kurzes Video von dem verurteilten Rechtsextremisten und Europakandidaten für die Partei Die Rechte, Dieter Riefling.
Skepsis gegenüber demokratischen Strukturen
Ebenfalls sympathisiert Mario Kuczera auf Facebook mit der NPD – neben diversen Reichsbürger-Seiten. Dem Kandidaten für den Kreistag Märkisch-Oderland gefällt außerdem die Seite von „Ein Prozent“ – wie auch Lars Günther, genauso Kandidat für diesen Kreistag und für den Landtag. „Ein Prozent“ bezeichnet sich selbst als „Patriotisches Bürgernetzwerk“ und wirbt in diesem Jahr vor allem dafür, Wahlbeobachter*in zu werden. Dahinter steht eine tiefe Skepsis gegenüber gegenüber demokratischen Strukturen, die bis zur Ablehnung und offenen Vergleichen mit Diktaturen reicht. „2019 erinnern wir uns an das Wendejahr in der 1989“, so Christoph Berndt, Chef von Zukunft Heimat, in einem „Ein-Prozent“-Video. Die Wende habe in der DDR mit dem von Bürgerrechtlern erbrachten Nachweis massiver Wahlfälschung bei den Kommunalwahlen begonnen, erklärt der AfD-Landtagskandidat. „Aber mit der DDR sind die Wahlfälscher nicht untergegangen.“ In die gleiche Kerbe schlägt auf der Brandenburger AfD-Vorsitzende Andreas Kalbitz in einem weiteren Video von „Ein Prozent“. „Wir haben das erste Mal seit der Wende die Chance, dieses Land zu verändern – und die Regierenden werden alles dafür tun, dass dies nicht stattfindet.“
Bei einer AfD-Kundgebung in Velten erklärte im Mai 2019 erklärte Robert Ketelhohn , die „polit-mediale Kaste“ habe „Redeverbote, Denkverbote“ eingeführt. Die Unfreiheit, so der Kandidat für die Stadtverordnetenversammlung, stünde im Zeichen einer allumfassenden „politischen Korrektheit“. Worin diese angeblich Denkverbote bestehen und wer sie umsetzt, verrät Ketelhohn nicht. Als Konsequenz dieser „Verbote“ beklagt er soziale Ausgrenzung. So inszeniert sich die AfD als Verfechterin der Meinungsfreiheit.Wird sie aber mit Kritik konfrontiert, stilisiert sie sich zum Opfer. Dass politische Debatten und Kritik entlang den Regeln der politischen Kultur zur Demokratie gehören, akzeptieren einige ihrer Mitglieder nur schwer. An politischen Meinungsverschiedenheiten können Freundschaften zerstört werden – das mag tragisch sein, ist aber keinesfalls undemokratisch. Ketelhohn schreibt auf Twitter, dass Homosexualität ein „Nebelwerferwort“ sei: „Homoerotische Neigungen beruhen auf psychischem Defekt.“
Universalwaffe Neutralität
Als Kampfbegriff der AfD gegen unliebsame demokratische Politik hat sich in den letzten Monaten die „politische Neutralität“ entwickelt. So beklagte Birgit Bessin auf besagter Kundgebung in Velten, das Bundesprogramm Demokratie leben mit seinen Maßnahmen gegen Rechtsextremismus sei Steuergeldverschwendung. Es diene ausschließlich, so die stellvertretende Landesvorsitzende der AfD, der politischen Indoktrination sowie dem Kampf gegen die AfD. Aber nicht nur der politischen Bildung sagt Bessin den Kampf an – wie viele AfD-Poltiker*innen möchte sie offensichtlich in die Freiheit der Wissenschaften eingreifen und unliebsame Studiengänge abschaffen, die sie als „Gender-Gaga-Blödsinn“ und „links-grüne Indokrination“ diffamiert. Vereine, die „nicht neutral agieren“, sollen überdies „finanziell trockengelegt“ werden. Einige AfD-Kreisverbände in Brandenburg wenden sich gegen die Religionsfreiheit in Deutschland, indem sie in ihren Kommunalwahlprogrammen die Behinderung muslimischer und jüdischer religiöser Speisevorschriften oder gar der Errichtung nicht-christlicher Gotteshäuser mit öffentlicher Unterstützung fordern.
„Bürgerkrieg“ und staatliche „Hetze“
Seit 2016 trifft sich jeden Mittwoch eine übersichtliche Gruppe AfD-Anhänger*innen vor dem Bundeskanzleramt in Berlin. Dieser „Merkel muss weg Mittwoch“ wird organisiert von Franz Wiese, Landtagsabgeordneter der AfD und Kandidat für den Kreistag von Märkisch-Oderland. Merkel wird als „Kanzler-Diktatorin“ verunglimpft, Wiese beklagte zuletzt am 22. Mai „Gesinnungsterror“ gegen die AfD. Dort deutete er an, dass Proteste gegen Rechts gesteuert und „Bürgerkriegsszenen geübt werden“ sollten. Flankiert werde dies von „Hetze im Staatsfernsehen“. Der Landtagsabgeordnete unterstellt damit ein geplantes gemeinsames Vorgehen von Zivilgesellschaft, Politik und Medien gegen die AfD. Bei all dem brauche „der Bürger nicht mehr zu hoffen“. Und so Wiese kommt zu dem Schluss: „Wir müssen uns selber befreien.“
Kann dies auf demokratischem Wege passieren, wenn Bürgerkriegsszenarien herbeigeredet werden und der Bundesrepublik ihr demokratischer Charakter abgesprochen wird? Helfried Ehrling, Kandidat der AfD für die Stadtverordnetenversammlung von Elsterwerda und den Kreistag von Elbe-Elster, scheint gegen die Politik von „Stasi-Merkel“ darauf nicht zu vertrauen. Ein Bild, das er bei Facebook teilt, fordert einen Putsch von Armee und Polizei gegen die „wahnsinnig gewordenen Politiker“. Das Wahljahr 2019 erwartet er als Entscheidungsjahr – doch „das geht nicht ohne (Bürger)-Krieg“, schreibt er zustimmend in einem Kommentar bei Facebook. „Reförmchen, labern und aussitzen reichen nicht“, so seine Einschätzung parlamentarischer Demokratie.