„Kinder und Jugendliche sollen die Vorzüge, Leistungen und Chancen der rechtsstaatlich verfassten Demokratie erfahren und erkennen, dass demokratische Grundwerte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz niemals zur Disposition stehen dürfen.“
Dies bekräftigte die Kultusministerkonferenz im Jahr 2018. Besonders vor Kommunal- und Landtagswahlen, bei denen Jugendliche ab dem Alter von 16 Jahren teilnehmen können, wird die Frage brisant, wie Erstwähler*innen ihre politische Meinung bilden können. Der Anspruch, Schule als „Handlungsfeld gelebter Demokratie“ praktisch umzusetzen, führt dazu, dass Diskussionsrunden und Podiumsgespräche mit Parteien als eine Möglichkeit der politischen Willensbildung angesehen werden. Hier stellt sich die Frage, wie viele und welche Parteien vor Ort zu Wort kommen sollen.
Schulen können sowohl im Rahmen ihres Unterrichtes als auch außerhalb des Unterrichtes Vertreter*innen politischer Parteien zu Veranstaltungen einladen. Die Schulen sind gehalten, nicht nur eine Meinung zu Wort kommen zu lassen, sondern die Themen kontrovers und ausgewogen darzustellen und zu diskutieren. Auch wenn das praktisch bedeutet, dass in der Regel mehr als ein*e Parteienvertreter*in eingeladen wird, müssen nicht Vertreter*innen aller Parteien eingeladen werden. Die Schulen können selbst auswählen, welche und wie viele sie einladen möchten.
Sollte eine Partei nicht zu einer schulischen Veranstaltung eingeladen werden, zu der aber Vertreter*innen anderer Parteien eingeladen sind, so gehen die verschiedene Parteien sehr unterschiedlich damit um. Manche halten sich aufgrund des Wissens über die Entscheidungshoheit der Schulen zurück, andere bedauern die Auswahl der Parteien. Die Vertreter*innen der 2013 gegründeten Partei Alternative für Deutschland (AfD) dagegen skandalisieren Veranstaltungen ohne ihre Teilnahme häufig als Ausgrenzung und sprechen dann von „demokratiefeindlichen Schulleitungen“, die angeblich gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Sie drohen mitunter mit Dienstaufsichtsbeschwerden oder fordern gar die Abberufung der Schulleitung. Auch gibt es von der AfD derzeit mehrere Portale im Internet, in denen Schüler*innen anonymisiert die Namen der Lehrenden angeben sollen, die sich negativ über diese Partei oder die von ihr präsentierte Politik äußern.
Um solchen Angriffen fundiert entgegentreten zu können, gibt es hier Antworten auf einige wichtige Fragen.
Welche rechtlichen Grundlagen gibt es?
Wenn Parteien mitunter rechtspopulistische bis rechtsextreme Meinungen äußern, sind viele Schulleitungen und Lehrkräfte der Ansicht, dass deren Politiker*innen nichts an Schulen zu suchen haben. Diese Haltung ist nachvollziehbar und stützt sich auf eindeutige Formulierungen des Gesetzes über die Schulen im Land Brandenburg (Brandenburgisches Schulgesetz – BbgSchulG).
§ 4 (4) „Die Schule wahrt die Freiheit des Gewissens sowie Offenheit und Toleranz gegenüber unterschiedlichen kulturellen, religiösen, weltanschaulichen und politischen Wertvorstellungen, Empfindungen und Überzeugungen. Keine Schülerin und kein Schüler darf einseitig beeinflusst werden. Keine Schülerin und kein Schüler darf wegen der Abstammung, Nationalität, Sprache, des Geschlechts, der sexuellen Identität, sozialen Herkunft oder Stellung, einer Behinderung, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder aus rassistischen Gründen bevorzugt oder benachteiligt werden. Einer Benachteiligung von Mädchen und Frauen ist aktiv entgegenzuwirken.“
§ 4 (5): „Bei der Vermittlung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Werthaltungen fördert die Schule insbesondere die Fähigkeit und Bereitschaft der Schülerinnen und Schüler, […] Beziehungen zu anderen Menschen auf der Grundlage von Achtung, Gerechtigkeit und Solidarität zu gestalten, Konflikte zu erkennen und zu ertragen sowie an vernunftgemäßen und friedlichen Lösungen zu arbeiten, […] Ursachen und Gefahren der Ideologie des Nationalsozialismus sowie anderer zur Gewaltherrschaft strebender politischer Lehren zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken, die eigene Kultur sowie andere Kulturen, auch innerhalb des eigenen Landes und des eigenen Umfeldes, zu verstehen und zum friedlichen Zusammenleben der Kulturen und Völker beizutragen sowie für die Würde und die Gleichheit aller Menschen einzutreten, sich auf ihre Aufgaben als Bürgerinnen und Bürger in einem gemeinsamen Europa vorzubereiten, […] ein Verständnis für die Lebenssituation von Menschen mit körperlichen, seelischen und geistigen Beeinträchtigungen zu entwickeln und zur Notwendigkeit gemeinsamer Lebenserfahrungen beizutragen.
Andererseits fühlen sich besonders die Lehrer*innen für Politische Bildung verpflichtet, sich an den drei Prinzipien des Überwältigungsverbotes (keine Indoktrination), der Kontroversität und der Schülerorientierung des Beutelsbacher Konsenses zu orientieren.
Als weitere rechtliche Grundlagen für die Frage, welche politischen Positionen an Schulen erlaubt sind oder nicht gelten darüber hinaus die Landesverfassung Brandenburg, insbesondere Artikel 7 (Schutz der Menschenwürde) und 7a (Schutz des friedlichen Zusammenlebens), das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Charta der Menschenrechte.
Haben Vertreter*innen jeder Partei ein Recht, an Schulveranstaltungen teilzunehmen?
Nein, das haben sie nicht, weil sämtliche Politiker*innen grundsätzlich kein Anrecht darauf haben, an einer Schule vor Schüler*innen sprechen zu dürfen. Wer sprechen darf, entscheidet allein die Schule, die das Hausrecht ausübt und die Verantwortung für den Schulbetrieb trägt. Sie darf, um den Unterricht lebendig und wirklichkeitsnah zu gestalten, Zeitzeug*innen, Referent*innen, Abgeordnete oder Kandidat*innen in den Unterricht oder zu Schulveranstaltungen einladen.
Auf welche Rechtsgrundlage kann sich eine Schule berufen, wenn sie bestimmte oder auch sämtliche Parteienvertreter*innen nicht in der Schule haben möchte?
Der Umgang mit Politiker*innen an Schulen ist in Brandenburg in den Verwaltungsvorschriften über die Organisation der Schulen in inneren und äußeren Schulangelegenheiten (VV-Schulbetrieb – VVSchulB) Abschnitt 2 Öffentlichkeit, Werbung eindeutig geregelt. Sie sieht für Brandenburger Schulen eine politische Ausgewogenheit vor. Das heißt aber nicht, dass eine Schule, wenn sie zum Beispiel eine Vertreterin von Bündnis 90/Die Grünen einlädt, automatisch auch einen Vertreter der FDP einladen muss.
Wie kann eine Schule für politische Ausgewogenheit und Kontroversität sorgen?
Zunächst einmal müssen nicht Vertreter*innen aller Parteien, die zur Wahl stehen, oder aller im Landtag oder Bundestag vertretenden Parteien eingeladen werden. Es reicht vollkommen aus, dass durch die Gestaltung der Schulveranstaltung bzw. des Unterrichts sichergestellt wird, dass politische Standpunkte anderer Parteien erörtert und diskutiert werden können.
Es ist also durchaus möglich, nur Vertreter*innen einer Partei einzuladen und die Standpunkte nicht anwesender Parteien durch die Lektüre ihrer Parteiprogramme oder ihrer Reden zu erarbeiten. Ebenso könnte z.B. eine Podiumsdiskussion an einer Schule mit Landtagsabgeordneten nur einiger Parteien stattfinden.
Vergessen Sie nicht: Die Einladung von Politiker*innen an Schulen dient allein der Bildung der Schüler*innen, es leitet sich daraus kein Recht der Parteien ab, für parteipolitische Zwecke bei Schüler*innen Werbung zu machen. Ein solches Recht gibt es nicht, im Gegenteil ist politische Werbung durch § 47 Absatz 2 des Schulgesetzes verboten.
Welche politische Position darf oder muss ein*e Lehrer*in vertreten?
Lehrkräfte sind zur Neutralität und zur Mäßigung verpflichtet. Grundsätzlich können sich verbeamtete wie angestellte Lehrkräfte jedoch wie andere Bürger*innen auch auf die Meinungsfreiheit berufen und sollten das in einer politischen Diskussion auch, um glaubhaft und fair zu sein. Sie können also die Positionen einer Partei ablehnen oder sie können sie befürworten. Die politische Einstellung der Lehrkräfte ist unerheblich, solange keine Positionen geduldet oder verbreitet werden, die der Landesverfassung, dem Grundgesetz oder der Charta der Menschenrechte widersprechen.
Lehrkräfte sollen ihre politischen Überzeugungen daher nicht verbergen, dürfen aber Schüler*innen nicht in ihrem Sinne einseitig parteipolitisch beeinflussen. Wichtig ist, dass sie die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen im Geiste der Menschenwürde, Demokratie, Toleranz und Gleichberechtigung erziehen (§ 4 (4) und § 4 (5) BbgSchulG).
Laut Artikel 7a der Verfassung des Landes Brandenburg sind Lehrkräfte als Vertreter*innen des Landes außerdem dazu verpflichtet, der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegenzutreten. Konkret bedeutet das, dass eine Lehrkraft im Unterricht gewährleisten muss, dass z.B. eine Schülerin, die die eine rechte Partei gut findet, wie alle anderen gleichberechtigt ihre Meinung sagen kann. Gleichzeitig muss sich aber die Lehrkraft eindeutig gegen Meinungsäußerungen stellen, wenn diese gegen zentrale Werte der Verfassung und der Menschenrechte gerichtet sind. Lehrer sind in diesem Sinne nicht „neutral“, da sie verpflichtet sind, die demokratische Grundordnung gegen Angriffe zu verteidigen. Eine parteipolitische Neutralität von Lehrern bedeutet also nicht, dass sie jeder Kontroverse aus dem Weg gehen sollten. Sondern, im Gegenteil, sind alle Lehrer*innen des Landes aufgerufen, die Kontroverse aufzunehmen und offensiv für die demokratische Ordnung und die Menschenrechte einzutreten. In der Verfassung und im Schulgesetz ist festgelegt, dass sie sich auch grundrechtsklar gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und diskriminierende Positionen stellen sollen. Sie müssen auch die roten Linien aufzeigen, die das Strafrecht setzt, wenn z.B. der Holocaust geleugnet wird.
Was ist bei der Vorbereitung einer Schulveranstaltung mit politischen Parteien zu beachten?
- Bereiten Sie eine Schulveranstaltung oder eine Unterrichtsstunde, bei der Vertreter*innen politischer Parteien eingeladen werden sollen, sorgfältig vor.
- Informieren Sie rechtzeitig die Schulkonferenz und holen Sie ihre Zustimmung ein, damit die Entscheidung für Ihre Veranstaltung auf einer breiten Basis steht.
- Informieren Sie rechtzeitig die Schulaufsicht über Ihr Vorhaben, damit diese nicht durch Medienberichte überrascht wird.
- Klären Sie, welche inhaltlichen Schwerpunkte die Veranstaltung oder die Unterrichtsstunde haben soll. Ein Rahmenlehrplanbezug sollte erkennbar sein.
- Erarbeiten Sie mit den Schüler*innen anhand von Quellen, welche Parteien ernstzunehmende Lösungen für das zu diskutierende Sachthema anbieten.
- Laden Sie konkrete Politiker*innen ein. Überlassen Sie es nicht den Parteien, die Person zu bestimmen. So können die Schüler*innen und Sie sich besser vorbereiten. Außerdem können Sie nur so gewährleisten, dass keine Politiker*innen von den Parteien gesandt werden, die verfassungsfeindliche oder schulgesetzwidrige Standpunkte vertreten.
- Informieren Sie sich und die teilnehmenden Schüler*innen insbesondere über neu gegründete und populistische Parteien mithilfe von seriösen Quellen, z.B. von der Bundeszentrale für politische Bildung, Zeitungen wie Die Zeit, Süddeutsche Zeitung und wissenschaftlich-kritischen Publikationen.
- Wenn Sie einen Vertreter_in einer rechtspopulistischen Partei einladen, binden Sie Schüler*innen, die möglicherweise dagegen waren, mit ihrer angemessen geäußerten Kritik in die Planung und den Ablauf der Veranstaltung ein.
- Akzeptieren Sie, dass einige Schüler*innen nicht an einer Veranstaltung mit einer Partei teilnehmen wollen, weil sie sich durch die Hetze gegen Schwule, Muslime oder Behinderte persönlich angegriffen sehen. Die Teilnahme an der Veranstaltung sollte freiwillig sein.
- Weisen Sie die Parteienvertreter*innen auf das Verbot politischer Werbung gemäß § 47 Absatz 2 des Brandenburgischen Schulgesetzes hin.
- Schreiten Sie bei unangemessenen Äußerungen ein. Wenn nötig, können Sie das Hausrecht ausüben. Unangemessen ist die Herabsetzung oder Beleidigung ganzer gesellschaftlicher Gruppen wie z. B. Homosexueller, Muslimen, Alleinstehender, Geflüchteter. Auf eine Verharmlosung oder Glorifizierung des Nationalsozialismus sollte unbedingt ein Verweis vom Schulgelände folgen.
- Sollten Sie sich entschieden haben, eine Partei nicht zu Ihrer Veranstaltung einzuladen, lassen Sie sich nicht von der Partei beeinflussen. Sie hat kein Recht auf eine Teilnahme. Weisen Sie ihre Vertreter*innen auf die eindeutigen rechtlichen Regelungen hin (Schulgesetz §4 und VV Schulbetrieb Abschnitt 2).
- Lassen Sie sich auch von der Androhung einer Dienstaufsichtsbeschwerde nicht einschüchtern. Wenn Sie sich an die oben angeführten rechtlichen Regelungen halten, erwarten Sie keine nachteiligen Folgen.
Hilfreich bei der Vorbereitung und Durchführung von Gesprächen von Schüler*innen mit Brandenburger Landtagsabgeordneten kann die Initiative dialogP in Brandenburg sein, die unter der Schirmherrschaft der Landtagspräsidentin Britta Stark steht und durch den Landtag Brandenburg gefördert wird.