© Depositphotos
Faktencheck: Familiennachzug
„Familiennachzug: Weitere 2 Millionen Migranten ab 2018. Jetzt gibt uns Merkel den Rest!“ behauptete die AfD knapp einen Monat vor der Bundestagswahl 2017 auf Facebook.
© Depositphotos
„Familiennachzug: Weitere 2 Millionen Migranten ab 2018. Jetzt gibt uns Merkel den Rest!“ behauptete die AfD knapp einen Monat vor der Bundestagswahl 2017 auf Facebook.
Die Partei berief sich auf eine Prognose der Bild-Zeitung, die berichtete, dass 390.000 Syrer_innen ihre Familien nachholen dürfen. Viele Medien und Politiker_innen fragten sich, kommen eher 100.000 oder doch sieben Millionen Kinder und Eltern der Geflüchteten? Keine Behörde bestätigte diese Zahlen, im Gegenteil, das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erklärte sogar die bis dato amtliche Annahme von einer Person pro anerkanntem Geflüchteten für zu hoch. Die Unsicherheit und Panik angesichts unklarer Prognosen führte dazu, dass Kriegsflüchtlinge aus Syrien bis August 2018 gar keine Familienmitglieder nachholen durften. Jetzt gilt ein neues Gesetz. Wir erklären, was bedeutet Familiennachzug, und wie viele dürfen wirklich kommen?
Was heißt Familiennachzug?
Durch Krieg, Vertreibung und die Unwägbarkeiten einer Flucht werden Familien oft getrennt. So gibt es Geflüchtete, die in Deutschland Schutz gefunden haben, während ihre Partner_innen, Eltern oder Kinder noch in Kriegsgebieten ausharren, auf dem Fluchtweg in Nordafrika oder im Nahen Osten gestrandet sind. Viele warten in einem Flüchtlingslager in der Europäischen Union – meistens in den Mittelmeerländern Griechenland, Italien oder Spanien.
Die Zusammenführung dieser versprengten Familien ist menschenrechtlich vorgeschrieben und stützt sich auf das deutsche Grundgesetz und die UN-Kinderrechtskonvention: Kinder sollen bei ihren Eltern aufwachsen und Familien nicht auseinandergerissen werden, sie müssen sogar schnellstmöglich wieder vereint werden. Anerkannte Asylsuchende bekommen in Deutschland daher „Familienasyl“. Genauso wie andere aufenthaltsberechtigte Migrant_innen dürfen sie ihre Ehepartner_innen und minderjährigen Kinder nachholen. Und auch minderjährige Geflüchtete dürfen ihre Eltern nachkommen lassen – allerdings bisher nicht ihre Geschwister.
Wie kommen Familienangehörige nach Deutschland?
Es gibt zwei Wege, wie anerkannte Geflüchtete ihre Familienmitglieder zu sich holen können: das Visumverfahren und das Dublin-Verfahren. Das Visumverfahren gilt für diejenigen Eltern und Kinder, die im Kriegsgebiet oder auf dem Weg der Flucht außerhalb der Europäischen Union zurück geblieben sind. Beantragen darf es nur, wer bereits einen positiven Bescheid vom BAMF in der Hand hält. Das bereits anerkannte Familienmitglied stellt den Antrag auf Familiennachzug beim BAMF und danach können die zurückgebliebenen Familienmitglieder in einer deutschen Botschaft ihre Einreiseerlaubnis abholen. Im sogenannten Dublin-Verfahren, das auf europäischer Ebene regelt, welches Land für welche Geflüchteten zuständig ist, kann eine Familie noch im laufenden Asylverfahren wieder vereint werden. Voraussetzung dafür ist, dass sich alle Familienmitglieder bereits in einem anderen EU-Staat, der Schweiz, Liechtenstein, Norwegen oder Island aufhalten.
Pro Asyl kritisiert, dass auf diesen europaweit gültigen Rechtsanspruch seit 2017 kein Verlass mehr sei, weil tausende Familienangehörige aus Griechenland nicht wie geplant nach Deutschland nachkommen durften. In Herkunfts- und Transitländern warten außerdem mehrere zehntausend Angehörige auf eine Terminzusage in den deutschen Botschaften, um ein Visum zu beantragen – die Wartezeiten für einen Botschaftstermin betragen derzeit nach Angaben des Bundestags bis zu 14 Monate.
Neue Rechtslage
Seit dem 15. Juni 2018 heißt Familiennachzug nicht länger für alle Geflüchteten gleichberechtigtes Familienasyl. Denn zu diesem Zeitpunkt hat der Bundestag mit knapp 57 Prozent der Stimmen für ein neues Gesetz gestimmt, das das Recht auf Familiennachzug beschränkt. Flüchtlinge, die auf EU-Grundlage als „subsidiär“ anerkannt werden, bekommen danach – im Gegensatz zu „Asylberechtigten“ nach der Genfer Flüchtlingskonvention der UNO und dem deutschen Grundgesetz – ab dem 1. August 2018 nur noch begrenzt das Recht, ihre Familienmitglieder nachzuholen. Subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, die zwar keine individuelle politische oder religiöse Verfolgung nachweisen können, deren Leben aber zum Beispiel durch Krieg wie in Syrien oder dem Irak bedroht wird. Bisher waren sie „Asylberechtigten“ nicht nur in Hinblick auf den Familiennachzug gleichgestellt, sie dürfen nach einer gewissen Aufenthaltszeit auch genauso unbefristet in Deutschland bleiben und haben den gleichen Anspruch auf Integrationsleistungen.
Benachteiligung von Kriegsflüchtlingen
Bereits seit 2016 durften Kriegsflüchtlinge aus Syrien keine Familienmitglieder nachholen. Zum einen, weil die Bundesregierung sich nicht einig war und zum anderen weil vor allem die CSU Angst vor uneinschätzbar hohen Zahlen von neuen Geflüchteten geschürt hat. Mit dem neuen Gesetz darf ab dem 1. August 2018 aber auch diese Flüchtlingsgruppe pro Monat nun wieder bis zu 1.000 minderjährige Kinder sowie die eigene Ehefrau oder den Ehemann nachholen. Die neue Begrenzung bedeutet für viele Geflüchtete allerdings ein jahrelanges Warten auf ein Wiedersehen mit der Familie, da höchstens 12.000 Familienmitglieder pro Jahr kommen dürfen und nicht angetretene Visa am Jahresende verfallen. Nicht nur Menschenrechtsorganisationen, die Kirchen und die Betroffenen selbst finden diese willkürliche Begrenzung auf 12.000 Menschen im Jahr menschlich fatal. Auch der Bundesrat hat kritisiert, dass die Geflüchteten mit dem neuen Gesetz benachteiligt werden und „ein humanitäres Kontingent von vornherein ausschließt, dass jedem Einzelfall tatsächlich Rechnung getragen wird“.