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10 Fakten zur Bezahlkarte
Geflüchtete in Brandenburg erhalten Leistungen bald nicht mehr in bar oder per Überweisung, sondern als digitales Guthaben auf einer eingeschränkt nutzbaren Geldkarte. Betroffene müssen damit Nachteile in Kauf nehmen, die schon bei der Praxis der Sachleistungen und der Ausgabe von Gutscheinen kritisiert wurden und deshalb schließlich 2011 eingestellt wurden.
Während die Landkreise die sogenannte Bezahlkarte seit 2024 einführen, lehnt die Landeshauptstadt Potsdam dies ab. Denn für die Betroffenen kann sie diskriminierend sein, integrationshemmend wirken und die Selbstbestimmung einschränken, so die Mehrheit der im Stadtparlament vertretenen Parteien. Gegen die Einschränkung im Umgang mit Bargeld für Asylsuchende im Land Brandenburg gibt es auch Proteste und solidarische Tauschaktionen.
1. Geldkarte mit Einschränkungen
Die Bezahlkarte unterscheidet sich von normalen Kreditkarten und ersetzt kein Konto. Die Leistungen werden als monatliches Guthaben aufgeladen. Damit ist digitales Bezahlen zum Beispiel an Lesegeräten in Geschäften möglich. Barauszahlungen werden jedoch strikt limitiert und sind meist auf 50 Euro pro Monat beschränkt. Daueraufträge und Überweisungen müssen weiterhin von einem separaten Konto erfolgen oder unterliegen der Einzelfallprüfung.
2. Kontrolle und Abschreckung
Mit dieser Einschränkung der Auszahlung von Bargeld setzen Bund und Länder auf Kontrolle und einen Abschreckungseffekt bei Asylsuchenden. Allerdings widersprechen renommierte Sachverständige dem Argument, dass Sozialleistungen ein entscheidender Pull-Faktor sind. Vorrangig haben beispielsweise die Community vor Ort, Arbeitsperspektiven, die demokratische Verfasstheit des Ziellandes, Kriegs- und Krisensituationen oder Klimakatastrophen Einfluss auf Migrationsbewegungen. „Gelder für Schlepper oder Überweisungen in das Herkunftsland zu nutzen, ist so nicht möglich“, teilte die damalige Bundesregierung zur Einführung der Karte im Mai 2024 mit. Und das, obwohl der Anteil der Auslandsüberweisungen von Geflüchteten seit Jahren kontinuierlich sinkt.
3. Ergebnis aufgeheizter Debatten
Der Ergänzung des Asylbewerberleistungsgesetzes um die Bezahlkarte durch Bundestag und Bundesrat im Frühjahr 2024 ging eine stark zugespitzte politische Debatte voraus. Sowohl Union und AfD als auch die Ampel-Parteien SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen setzten auf eine Verschärfung der Asylbedingungen in dieser Frage. Der Streit führte immer wieder zur Stimmungsmache gegen Geflüchtete und reichte bis hin zur Forderung nach „Brot, Bett und Seife“ durch die AfD. Das lange als diskriminierend geltende Sachleistungsprinzip ist auch mit der Einführung der Bezahlkarte nicht vom Tisch.
4. Kartenzahlung nicht überall möglich
Während heutzutage immer mehr Menschen digital bezahlen, gibt es nach wie vor viele Situationen, bei denen auch weiterhin ausschließlich bar gezahlt wird. Ob unter Freund*innen und Bekannten, im Bus, bei den Tafeln, auf dem Flohmarkt, an bestimmten Automaten, auf Wochenmärkten, in der Schule oder am Imbiss. Bei kleineren oder größeren Bargeldbeträgen hilft die Bezahlkarte den Betroffenen an diesen und vielen weiteren Orten nicht weiter.
5. Immer mehr Landkreise verteilen die Karte
Erste Ausgabeorte der Behörden sind zunächst die Gemeinschaftsunterkünfte. Während der Landkreis Märkisch-Oderland bereits 2024 vorgeprescht waren, begannen die Landkreise Oder-Spree und Oberspreewald-Lausitz im März 2025 mit der Ausgabe der Bezahlkarten. Mehrere Tausend Karten sind im Land Brandenburg bereits im Umlauf. Sie werden an Personen verteilt, die in Deutschland Schutz suchen und damit Essen, Unterkunft oder auch Kleidung bezahlen können, bis ihr Asylantrag gewährt wird und solange sie sich nicht selbst finanzieren können.
6. Solidarisch gegen die Bezahlkarte
In Berlin und Brandenburg wirbt die Kampagne „Nein zur Bezahlkarte!“ für die Abschaffung der Karte und die Unterstützung von Betroffenen. Die Kampagne wird von den Flüchtlingsräten beider Länder unterstützt und hält Informationen in zahlreichen Sprachen bereit. Das Aktionsbündnis Brandenburg unterstützt den offenen Brief der Kampagne. Der Vorstand empfiehlt Engagierten, sich zu informieren, zu vernetzen, aktiv zu werden und Betroffenen zur Seite zu stehen.
7. So funktioniert das Tauschen
Solidarisches Tauschen gab es in Brandenburg bereits bei dem Gutscheinsystem in den 2010er Jahren. Durch das Tauschen haben Menschen mit Bezahlkarte Bargeld zur Verfügung, das für sie sonst stark begrenzt wäre. Dafür gibt es Einkaufsgemeinschaften, auch Tandemeinkäufe genannt, oder den Gutscheintausch. Besitzer*innen einer Bezahlkarte können andere Menschen beim Einkauf von Waren oder Dienstleistungen begleiten, die Ausgaben mit der Bezahlkarte begleichen und im Gegenzug Bargeld erhalten. Es ist auch möglich, mit der Bezahlkarte Einkaufsgutscheine zu erwerben, die dann eingetauscht werden können. Wer helfen möchte oder wer als Inhaber*in einer Bezahlkarte niemanden zum Tauschen findet, kann selbstorganisierte Tauschorte aufsuchen. Solche Orte gibt es unter anderem in Märkisch-Oderland, im Barnim oder in Potsdam. Neue Orte werden regelmäßig auf einer Karte der Website der Kampagne „Nein zur Bezahlkarte“ eingetragen.
8. Tauschen ist legal
Die Kampagne „Nein zur Bezahlkarte“ informiert, dass es keine Gerichtsurteile gibt, die solche Tauschaktionen verbieten. Gleichwohl gibt es immer wieder Forderungen aus der Politik, den Tausch oder den Aufruf dazu unter Strafe zu stellen. Davon sollten sich Betroffene und Unterstützende jedoch nicht einschüchtern lassen.
9. Erheblicher Aufwand in den Landkreisen und Kommunen
Schon die Einführung der Karten stellt die Verwaltungen vor personelle, technische und finanzielle Herausforderungen. Auch im laufenden Betrieb besteht ein erheblicher Verwaltungsaufwand. Er reicht von individuellen Prüfungen des Verfügungsrahmens über datenschutzrechtlich umstrittene Einzelfallentscheidungen bei Überweisungen und teils noch manuelle Aufladungen der Karten bis hin zu den Abrechnungen mit dem Kartenunternehmen. Nach Schätzungen der GGUA Flüchtlingshilfe in Münster aus öffentlich kommunizierten Zahlen liegen die jährlichen Kosten bei knapp 155 Millionen Euro, davon 68 Millionen Euro bei den Ländern für die Verpflichtungen für die Kartenfirmen und 87 Millionen Euro bei den Kommunen für den personellen Mehraufwand. Wie hoch der personelle und finanzielle Aufwand im Alltag jeweils sein wird und ob auch eine Entlastung der Verwaltung eintritt, wird sich vermutlich erst langfristig zeigen.
10. Erfahrungen mit dem Scheitern
Brandenburg hat die diskriminierende Sachleistungspraxis bereits einmal abgeschafft. Das war in den meisten Landkreisen 2011. Die Brandenburger Landesregierung setzte sich damals sogar bundesweit dafür ein. Im Jahr darauf wurde nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit dem Satz: „Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren“ auch das Asylbewerberleistungsgesetz zugunsten von Geldleistungen geändert. Entscheidend dafür dürften auch die damaligen zivilgesellschaftlichen Proteste und Boykotte gegen das Gutscheinsystem gewesen sein. Einen der bekanntesten Proteste gab es im Landkreis Oberhavel.
Letzte Aktualisierung: 5.6.2025